Analphabeten in Deutschland Der Kampf mit den Buchstaben

Düsseldorf (RPO). Analphabeten gibt es nicht nur in Entwicklungsländern. Etwa vier Millionen Deutsche können nicht richtig lesen und schreiben. Sie sind darin nicht besser als Schüler der zweiten Klasse. Daran erinnert der Weltalphabetisierungstag am 8. September.

Nicht lesen zu können schränkt nicht nur ein, sondern kann schlimme Folgen haben. Wie der Arbeitsunfall, bei dem ein Angestellter in eine Maschine geriet und seine Hand verlor. "Sein Chef hat wenig später bei uns angerufen: Die Untersuchung des Arbeitsunfalls hatte ergeben, dass sein Mitarbeiter den Warnhinweis an der Maschine nicht lesen konnte", berichtet Peter Hubertus, Geschäftsführer vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung.

Kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Der Arbeiter, der seine Hand verloren hat, gehörte zu den funktionalen Analphabeten in Deutschland, deren Zahl auf etwa vier Millionen geschätzt wird. Sie sind zwar zur Schule gegangen, haben aber bereits in den ersten beiden Schuljahren den Anschluss an ihre Klasse verpasst. Vielleicht, weil sie krank waren, vielleicht, weil die Eltern umgezogen sind, oder weil das vorgegebene Lerntempo der Lehrerin zu schnell war.

Funktionale Analphabeten können zwar begrenzt Buchstaben lesen und schreiben, allerdings bei weitem nicht so, wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet: "In den letzten Jahrzehnten sind die Anforderungen gestiegen. Während früher auch funktionale Analphabeten einen Arbeitsplatz bekommen haben, ist die Nische für sie auf dem Arbeitsmarkt immer enger geworden", erklärt Hubertus.

Scheu vor den Buchstaben

Der Chef des eingangs beschriebenen Unfallopfers hat sich beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung über Bildungsangebote für seinen Mitarbeiter informiert. Gemeinsam mit seinem Angestellten suchte er nach einer Lösung. Doch nicht jeder hat so ein gutes Vertrauensverhältnis zu seinem Chef. Funktionale Analphabeten versuchen meist ihre Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben zu verbergen. Sie scheuen sich ihren Bekannten, oder auf der Arbeit von ihren Problemen zu erzählen.

Wer Angst hat in jedem zweiten Wort Fehler zu haben, schreibt oft lieber gar nicht und meidet Situationen in denen er lesen und schreiben muss. "Die Betroffenen wollen ungestört bleiben, sie heben nicht die Hand, um auf ihr Problem aufmerksam zu machen", erklärt Hubertus.

Kampagnen und Kurse

Es ist also nicht leicht die Zielgruppe zu erreichen. Auf große Resonanz stieß die Medienkampagne "Schreib dich nicht ab — Lern lesen und schreiben!" des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung. Ein neues Projekt richtet sich nun gezielt an Jugendliche. Sie sollen erkennen wie wichtig eine Grundbildung ist.

Rufen Betroffene beim Alpha-Telefon des Bundesverbands (0251-533 344) an, haben sie den ersten wichtigen Schritt schon getan. Anonym werden hier Analphabeten, aber auch Angehörige und Freunde beraten und erhalten Informationen über Kurse in ihrer Nähe.

In Düsseldorf haben sich rund 120 Menschen getraut und sich für dieses Semester an der VHS angemeldet. In kleinen Gruppen wird dort gelernt — allerdings nicht auf dem Niveau von I-Dötzchen. "Wir arbeiten nicht mit Grundschulmaterial, sondern mit Texten, die die Erwachsenen ansprechen", betont Rainer Hartmann von der VHS Düsseldorf. Die Teilnehmer nennen sich nur beim Vornamen, so bleibt eine gewisse Anonymität gewahrt. Auch mitten im Semester kann man einsteigen, pro Semester fallen nur 10 Euro an. "Niemand soll aus finanziellen Gründen auf einen Kurs verzichten müssen", erklärt Hartmann.

Erfolg macht selbstbewusst

Oft setzen sich die Kursteilnehmer neue Ziele und bleiben länger als ursprünglich geplant dabei: "Ein Arbeiter wollte zunächst nur lernen, wie man Materiallisten liest. Doch mit den Erfolgen stieg seine Motivation, mehr zu lernen", erzählt Rainer Hartmann.

Unter der Beratungsnummer 0211-899 2913 erhalten Betroffene Informationen über die Angebote der VHS Düsseldorf. Auch im Internet gibt es Hilfe: Im Lernportal ich-will-lernen kann lesen und schreiben anonym geübt werden. Online-Tutoren helfen bei Problemen. Dies ist vor allem als Ergänzung zum Kursangebot gedacht. Denn in einer Gruppen lernt der Betroffene Menschen kennen, die mit ähnlichen Problemen kämpfen. Einzelunterricht sei deshalb weniger hilfreich, so die Meinung der Experten.

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