Trend zur Auflösung Das Büro der Zukunft

Düsseldorf (RP). Wie arbeiten wir in 20 Jahren? Einzelzelle ade. Die zukünftigen Arbeitsplätze sind grün, flexibel – oder passen in die Hosentasche. Je virtueller die Welt wird, umso wichtiger bleibt aber auch das Büro als Ort der Gemeinschaft für die "Wissensarbeiter" in der kreativen Ökonomie.

Düsseldorf (RP). Wie arbeiten wir in 20 Jahren? Einzelzelle ade. Die zukünftigen Arbeitsplätze sind grün, flexibel — oder passen in die Hosentasche. Je virtueller die Welt wird, umso wichtiger bleibt aber auch das Büro als Ort der Gemeinschaft für die "Wissensarbeiter" in der kreativen Ökonomie.

Sein Büro ist eher konventionell eingerichtet. Aber neben den üblichen Schreibtischen und Stühlen fallen beschreibbare Wände für spontane Ideen auf, jeder tauscht mit jedem seinen Arbeitsplatz, und es gibt Rückzugsorte ohne Computer oder Handy. "Die große Kunst in der Zukunft wird es sein, für unterschiedliche Raumqualitäten zu sorgen, in denen der Einzelne sich entfalten kann", sagt Trend- und Zukunftsforscher Harry Gatterer. "Denn so wie der Schreiner nicht in einer Schlosserei arbeiten kann, brauchen nicht alle Wissensarbeiter nur einen Schreibtisch mit Laptop."

Die wirklich modernen Büros arbeiten längst an ihrer Auflösung: Keine festen Arbeitsplätze mehr, jeder hat seinen Rollcontainer, die Schnittstelle fürs Notebook hängt aus der Elektronikleiste des unbesetzten Schreibtisches. Um Wissen zu generieren, es zu vernetzen, braucht man keine Bürozellen, sondern technisch hoch gerüstete Räume für Besprechungen, Telefon- und Video-Konferenzen, betont Gatterer, der in Wien den Ableger des Kelheimer Zukunftsinstituts leitet.

Kreativ an der Kaffeemaschine

Ausgedient habe allerdings die klassische Form der Meetings, das ewige Sitzen um einen runden Tisch. "Jeder weiß doch, dass der Platz an der Kaffeemaschine der kreativste ist." Auch wer nur mal so Abstand gewinnen, mal vor sich hin träumen kann, sei kreativer und effizienter. Gatterer plädiert deshalb für Sessel und Sofas, so genannte Lounge-Zonen, als heimelige Bausteine der Unternehmenskultur. Da müsse jede Firma passend zum eigenen Anspruch das Mobiliar finden. Bei Google sind es Hängematten und "Bäume", die in den Zimmerhimmel wachsen, bei anderen ist es die Carrerabahn oder das lebensfroh-farbige Design.

In der neuen Arbeitswelt haben Großraumbüros mit Stellwänden und Stechuhren ausgedient. Körperliche Präsenz spielt eine geringe Rolle. Immer öfter wird im "Home Office" gearbeitet, Besprechungen werden auf Distanz geführt. Vertrauen, nicht Kontrolle sei die Basis für das Funktionieren der kreativen Ökonomie. Schließlich fallen einem Ideen nicht auf Knopfdruck ein. Die Aufgabe von Chefs sei es, Ziele zu formulieren, den Überblick zu behalten und korrigierend einzugreifen. Gatterer: "Stellen Sie gute Leute ein, und lassen Sie sie allein." Die Führungsaufgabe der Zukunft lautet: Moderation.

Freie Zeiteinteilung bedeutet auch Stress

Die Arbeitsstruktur wandelt sich enorm. Die Mitarbeiter können ihre Zeit frei einteilen, solange sie die vereinbarten Aufgaben termingerecht und zuverlässig erfüllen. Jeder organisiert persönlich seine Arbeitsintensität und folgt seinem Talent, erklärt Gatterer. Das ist eine große Freiheit, die zugleich den Stress erhöhen kann. "Wer seine Arbeit als sinnerfüllend betrachtet, der läuft Gefahr, Tag und Nacht arbeiten zu wollen. Leben und Arbeiten wird nicht getrennt. Schließlich kann es ja passieren, dass man die beste Idee für eine Präsentation abends in der Badewanne hat." Also werde das Thema Gesundheit wichtiger. "Ich muss mehr auf mich achten, nicht 24 Stunden verfügbar sein und jede Mail innerhalb von fünf Stunden beantworten. Die große Herausforderung ist es, den Aus-Schalter zu finden."

Der Forscher rechnet damit, dass der digitale Stress größer wird. "Wir haben noch längst nicht die Vielfalt an Kommunikationsmöglichkeiten ausgeschöpft." Die digitale "Verstopfung" werde eher zunehmen, aber spätestens in fünf Jahren sei der "Wandel zur besseren Medienkompetenz" vollzogen. Vor allem die Generation der "Digital Natives", die mit Internet und Facebook groß werden, sei gelassener als die "Digital Immigrants", die große Gruppe der Ü-30.

Die Gesellschaft ist im Umbruch. In der von Matthias Horx und seinem Zukunftsinstitut herausgegebenen Studie "Matrix des Wandels" wird es so formuliert: "In der weltweiten Wissensgesellschaft mit ihren modernen Unternehmenskulturen und Organisationsstrukturen verlieren Normalarbeitsverhältnisse und starre Berufsbilder an Bedeutung. Die Jobs der Zukunft lassen sich in keine traditionellen Berufsschubladen stecken."

Ein Leben, viele Berufe

Experten gehen davon aus, dass zwei Drittel der Kindergarten-Kinder in 20 Jahren in Synthese-Jobs arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt. "Digitalmüllmann", "Vertikalbauer", der das Gewächshaus in der Höhe baut, oder "Weltraum-Reiseführerin" — die Möglichkeiten sind unendlich. Man wechselt demnächst nicht nur eine Stelle, sondern auch seinen Beruf, davon ist Gatterer überzeugt. Aus dem Marketingleiter wird der Design-Beauftragte oder der Cluster-Consultant. "Folge dem, was du kannst, und übe es so oft wie möglich", heißt die Devise.

Während in konventionellen Büros Fotos von den Kindern oder die Duftkerze als Identitätszeichen die Funktion haben, dem neutralen Ort einen persönlichen Anstrich zu verleihen, sind diese emotionalen Relikte in der Welt des Desk Sharing (Wechselarbeitsplätze) nicht mehr vorgesehen. Allenfalls in Gestalt von Bildschirmhintergünden auf Notebooks und Mobiltelefonen. Aber sicher wird das Büro als Ort des Dialogs bleiben. "Das Büro ist unser emotionaler Anker, es muss nur genug Raum lassen für die Talente des Einzelnen."

(RP)
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