Zukunftsmusik Motorengeräusche aus der Konserve

Elektroautos geben Töne von sich, obwohl sie das aus technischer Sicht nicht müssten. Wie das genau klingt, ist den Soundingenieuren der Hersteller überlassen.

 Im Akustiklabor von BMW streben die Soundingenieure nach möglichst wohlklingenden Fahrzeuggeräuschen.

Im Akustiklabor von BMW streben die Soundingenieure nach möglichst wohlklingenden Fahrzeuggeräuschen.

Foto: dpa-tmn/Tom Kirkpatrick

Ein leises Pfeifen rollt auf der Straße heran, ein völlig ungewohntes Geräusch. Wie eine fliegende Untertasse wirkt es oder wie das Raumschiff Enterprise aus „Star Trek“. E-Autos klingen anders als konventionelle – und das ist durchaus gewollt.

„Jahrelang haben Hersteller versucht, ihre Fahrzeuge leiser zu machen. Jetzt müssen sie sie absichtlich mit einem Klang versehen“, sagt Stefan Sentpali, Professor für Akustik, Dynamik und Fahrzeugtechnik an der Hochschule München. E-Autos fahren so leise an, dass Unfälle passieren können. Daher verlangt der Gesetzgeber eine akustische Signalwirkung, das sogenannte Approaching Vehicle Alert System (AVAS), für neu typenzugelassene Hybrid- und Elektrofahrzeuge.

Innerhalb der EU müssen alle Fahrzeuge bis 20 km/h sowie beim Rückwärtsfahren einen Geräuschpegel von mindestens 56 dB und maximal 75 dB produzieren, der Schall muss dabei kontinuierlich sein. Nur so können andere Verkehrsteilnehmer, auch Sehbehinderte, die Fahrzeuge genau verorten. „Wie die Autos genau klingen, obliegt den Herstellern. Das kann emotional oder nüchtern sein, wichtig ist nur, dass es sich nach einem Fahrzeug anhört“, erklärt Professor Sentpali.

 Filmkomponist Hans Zimmer (l.) und Renzo Vitale arbeiten am Soundtrack eines Fahrzeugs.

Filmkomponist Hans Zimmer (l.) und Renzo Vitale arbeiten am Soundtrack eines Fahrzeugs.

Foto: dpa-tmn/BMW AG

Klänge helfen Menschen seit Jahrtausenden bei der Einordnung von Eigenschaften. „Menschen haben eine gewisse Erwartungshaltung, wie sich ein Objekt anhört“, sagt Sentpali. Das gelte auch für E-Autos. „Der Sound muss hochwertig sein, darf nicht knarzen oder leiern. Das verbinden wir mit Schad- und Störgeräuschen.“ Die Frage sei nur, wie sich E-Fahrzeuge genau anhören sollen, denn Erfahrungswerte gab es bisher nicht. „Menschen wissen, wie Fahrzeuge in Science-Fiction-Filmen klingen, daran werden sie sich auch bei E-Fahrzeuge orientieren. Die klingen bis zu zwei Oktaven höher, hochfrequenter, wie ein leises, angenehmes Pfeifen“, sagt Sentpali.

Indra Kögler ist Sound-Designerin bei Volkswagen. Gemeinsam mit Klaus Zyciora, Leiter des Designs für den VW-Konzern, und dem Musiker Leslie Mandoki hat VW in den vergangenen Jahren einen futuristischen Sound für seine Elektro-Reihe ID entwickelt. Die Kunst sei es, einen Sound für verschiedene Gruppen zu schaffen, den alle als angenehm und nicht störend empfinden: „E-Mobilität fühlt sich anders an und fährt sich anders, deshalb kann sie auch anders klingen“, sagt Zyciora.

  Sounddesigner Renzo Vitale tüftelt im Soundlabor an neuen Klängen.

Sounddesigner Renzo Vitale tüftelt im Soundlabor an neuen Klängen.

Foto: dpa-tmn/Tom Kirkpatrick

Künftige ID-Modellreihen werden sich bei den Klängen unterscheiden: „Je nach Größe des Modells hören sich die Fahrzeuge anders an. Ein Kleinwagen macht heute auch andere Geräusche als eine große Limousine“, erklärt Kögler. Auch im Innenraum klingen die E-Autos neuartig, etwa bei Warnklängen und Rückmeldungen der Sprachsteuerung.

Für Thomas Küppers muss ein E-Fahrzeug vor allem innen anders klingen: „E-Maschinen arbeiten leise, das kommt dem Innenraum zugute. Das schönste Geräusch im Auto ist doch die absolute Ruhe“, sagt der Mercedes-Sounddesigner. Mercedes legt daher Wert auf einen nahezu geräuschfreien Antrieb. In künftigen Modellen wie EQS und EQE soll es aber auch Fahrsounds geben, die sich beim Beschleunigen verändern.

Zur Soundfamilie im E-Auto gehören die Begrüßung, das Starten, die Fahrbereitschaft, Fahrstufe einlegen, Fahrprogrammwechsel und die Antriebsstranggeräusche. Die Fahrgeräusche sind keine fertigen MP3- oder Wave-Dateien, sondern individuelle Klänge einer Echtzeitberechnung. „Je nach Fahrzustand ändert sich der Sound. Dahinter steckt eine große Rechenleistung“, sagt Küppers.

Renzo Vitale ist für den E-Auto-Sound bei der BMW Group verantwortlich. Beim Mini Electric zählen dazu das vorgeschriebene Fahrgeräusch sowie die Klänge im Innenraum. „Ich versuche, die ästhetischen Elemente und Stimmungen, die einen Mini ausmachen, in Klänge umzusetzen“, sagt Vitale. Das klinge abstrakt, funktioniere aber mithilfe einer Übersetzung des Lichtfeldes in ein Klangfeld: „So klingen Lichtreflexionen auf dem Wasser diffus und weich.“ Schon beim Starten soll der E-Mini überraschen. Subtil ist ein zwei Sekunden langer Sound zu hören. „Im Stand soll das E-Auto freundlich, leicht und hell klingen, beim Fahren sportlich und dynamisch“, sagt Vitale.

Bei künftigen E-Autos von BMW soll die akustische Rückmeldung an Bedeutung gewinnen: Mit Hollywood-Filmkomponist Hans Zimmer entwickelt Vitale verschiedene Klangkulissen für den Innenraum, die für ein noch emotionaleres Fahrerlebnis sorgen sollen.

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