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Seltsames Phänomen Warum die grüne Welle nicht klappt

Düsseldorf (RPO). Grüne Welle? Das wäre toll. Ampeln wie im Vorbeifliegen überqueren und in Windeseile sein Ziel erreichen. Warum bleibt der Traum aller Autofahrer in den allermeisten Fällen ein frommer Wunsch? Warum hat man das Gefühl, dass die Ampeln stets so geschaltet sind, dass jedesmal Rot ist? Es ist ein seltsames Phänomen.

Die zwölf nervigsten Ampel-Erlebnisse
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Foto: RP-Foto: Staschik

Stauforscher Michael Schreckenberg wundert sich: "Ampeln sind seit ihrer Erfindung vor über 80 Jahren bis heute nicht viel intelligenter geworden", kann sich der Experte der Uni Duisburg-Essen nicht erklären, warum die Lichtzeichenanlagen vom technischen Fortschritt weitgehend abgekoppelt blieben. 1922 wurde die erste Ampel in Hamburg aufgestellt. Bereits 1926 gab es auf der Leipziger Straße in Berlin erste Versuche, den wachsenden Verkehrsfluss zu lenken und das Problem der roten Ampeln zu entschärfen.

Seither sollen grüne Wellen helfen, Zeit und Sprit zu sparen und gleichzeitig die Umwelt durch weniger Abgase und Lärm zu schonen. Errechnet wird eine sogenannte Progressionsgeschwindigkeit, bei der man die nächsten Ampeln im Idealfall bei Grün überqueren kann. Dieses Tempo steht entweder auf Zusatztafeln oder auf weißen Lichtzeichen mit drei Feldern, von denen eins leuchtet - etwa 30 km/h, 40 km/h oder 50 km/h.

Manhattan-Netzwerke

Soweit die Theorie. In der Praxis sind viele dieser Anlagen wieder außer Betrieb genommen worden, denn der Wunsch nach nach der grünen Welle blieb in den allermeisten Fällen unerfüllt. Stauforscher Schreckenberg erklärt, warum: "Auch unter einfachsten Bedingungen ist es mit der Synchronisation der Ampelphasen ganz schnell vorbei. Das haben Simulationen anhand sogenannter Manhattan-Netzwerke ergeben." Dabei habe sich gezeigt, dass sich der Verkehr selbst in einem simplen Schachbrett-Muster nicht in grüne Wellen lenken ließ.

Bereits ab einer mittleren Verkehrsdichte, wie sie in den meisten Städten den ganzen Tag über herrscht, sei das Risiko zu groß, dass der mathematische Ablaufplan durchkreuzt wird. Eine kleine Störung wie Parken in zweiter Reihe, unerwarteter Querverkehr oder manchmal nur ein ungeschicktes Bremsmanöver reichen, um das typische Stop-and-Go-Muster auszulösen. Kurios: "Eine zufällige Ampelschaltung war manchmal effektiver als eine aufwendig errechnete Sychnronisation der Grünphasen", berichtet Schreckenberg.

Schlecht gewartet

Der ADAC hat festgestellt, dass in verschiedenen Städten die Hard- oder Software veraltet ist oder schlecht gewartet wird. Für Stauforscher Schreckenberg ist es ein Rätsel, "warum es Jahrzehnte gedauert hat, bis den Systemen der unterschiedlichen Hersteller einheitliche Standards aufdiktiert wurden." Denn nur so ließen sich die Ampeln überhaupt aufeinander abstimmen. Vielerorts hält ADAC-Sprecher Roman Breindl grüne Wellen einfach nur für "schlecht geplant."

Deutschland habe sich auf das Prinzip einer dominanten Steuerung festgelegt, erläutert Stauforscher Schreckenberg. Das bedeutet, dass sich kleinere Straßen den größeren unterzuordnen haben. Dieses System funktioniere nur, solange sich alle Autofahrer an die ausgerechnete Idealgeschwindigkeit halten, was sie in den seltensten Fällen tun. Und oft ist eine Grünphase halt zu kurz für alle Autos.

In der Forschung werde derzeit "an einer besseren Vernetzung von Lichtsignalanlagen in Netzen gearbeitet, bei der auch der Querverkehr beachtet wird", ergänzt ADAC-Experte Breindl. Erprobt würden verkehrsabhängige Steuerungen, die sich besser schwankenden Belastungen anpassen können.

Rote Welle in Köln

Der Stein des Weisen bei der Verkehrslenkung ist für Schreckenberg längst noch nicht gefunden. Regelrechte Irrwege seien schon beschritten worden. So haben Kölner Stadtplaner vor etlichen Jahren mal rote Wellen ausprobiert, um die Autofahrer zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen. Die Folgen seien verheerend gewesen. Schreckenberg: "Die Kölner fuhren natürlich trotzdem weiter Auto und standen noch mehr im Stau."

Was also tun, wenn grüne Wellen permanent im Sande verlaufen? Der ADAC setzt auf Fortschritt bei der Kommunikations-Technologie. Vielversprechende Systeme heißen Car to Car oder Car to Infrastructure und bedeuten: "Die Übertragung der optimalen Geschwindigkeit in das Fahrzeug, damit der Autofahrer weiß, mit welchem Tempo er am besten durch die grüne Welle kommt", erklärt Experte Breindl und verweist auf ein aktuelles Versuchsprojekt aus Ingolstadt (www.travolution-ingolstadt.de).

Bewährt haben sich für Stauforscher Schreckenberg als Alternative bereits Anforderungsschleifen, die automatisch auf Grün umschalten, sobald Autos darüberfahren. Allerdings eignen sich diese nur bei geringerem Verkehrsaufkommen.

Inflation von Kreisverkehren

Zu beobachten ist unterdessen eine regelrechte Inflation von Kreisverkehren - häufig aus Kostengründen eingerichtet. Darin besteht für den ADAC keine Alternative zur grünen Welle. Auch Schreckenberg sieht sie mit gemischten Gefühlen: "Kreisverkehre können zwar sinnvoll sein, zum Beispiel um die Geschwindigkeit herabzusenken und damit der Gefahr schwerer Unfälle zu begegnen." Sie könnten aber auch zum regelrechten Verkehrshindernis werden.

"Immer dann, wenn eine viel befahrene Hauptstraße auf eine kleine Nebenstraße trifft, haben die Autos aus diesen Straßen praktisch keine Chance, in den Kreisverkehr einzubiegen und es bilden sich kilometerlange Rückstaus", sagt der Stauforscher und verweist auf ein recht aktuelles Negativbeispiel gleich vor der Haustür: Die neue Verkehrsregelung der Bundesstraße 8 bei Düsseldorf-Wittlaer.

(RPO)
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