Frage von Sekunden Bei Gewässerunfall sofort raus

München/Bonn (rpo). Wenn ein Auto von der Straße abkommt und wie in einem Actionfilm in den Fluten eines Sees oder Flusses versinkt, gibt es nur eines: Türen, Fenster oder Schiebedach auf und raus! Die frühere Ansicht, in Ruhe Abwarten bis zum Druckausgleich hat sich zu häufig als tödliche Falle erwiesen.

Im Kinofilm ahnt der Zuschauer, sobald Wasser ins Wageninnere dringt, dass der Fahrer im letzten Moment gerettet wird oder sich selbst befreien kann. In der Realität wären Zeugen eines Gewässerunfalls wohl weniger entspannt. Denn als Ersthelfer können sie in solchen Situationen kaum etwas ausrichten. Die Insassen eines versinkenden Fahrzeugs haben nur dann eine Überlebenschance, wenn sie selbst schnell reagieren und das Richtige tun.

Denn alles geht dramatisch schnell, wenn ein Fahrzeug in ein Gewässer stürzt, wie Versuche des Allianz Zentrums für Technik (AZT) in München ergaben. Weil sich bei den meisten Pkw der Motor vorne befindet, beginnen sie sofort mit der schweren Front voran zu sinken. Dabei strömt Wasser durch die Lüftung ins Innere. Bereits 15 Sekunden nach dem Aufprall auf das Wasser reichte bei den Tests, bei denen Profi-Taucher am Steuer saßen, der Wasserspiegel bis an die Fenster.

Größte Chance in den ersten Sekunden

"Keine Person würde in so einer Situation ruhig bleiben", erklären die Unfallforscher. Selbst die Taucher gerieten bei den Tests beinahe in Panik, obwohl sie in voller Tauchmontur steckten. Nach 30 Sekunden war das Lenkrad unter Wasser, nach 45 Sekunden befand sich nur noch im Bereich des Heckfensters eine kleine Luftblase. Nach einer Minute ragte allein der Kofferraum noch aus dem Wasser - danach versank das Fahrzeug nahezu senkrecht mit der Front voran in der Tiefe.

Die größten Überlebenschancen haben Pkw-Insassen in den ersten Sekunden: "Wenn man merkt, man fährt in ein Gewässer rein, sollte man sofort die Türen aufreißen und herausspringen", rät Hubert Paulus vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg (Bayern). Weil das Wasser beim Versinken des Autos immer stärker von außen drückt, ließen sich die Türen bereits nach kurzer Zeit nicht mehr öffnen. Ist das der Fall, sollte ein Ausstieg über das Schiebedach versucht werden.

Auf keinen Fall sollten Betroffene abwarten, bis das Auto untergegangen ist, betont Jürgen Bente vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Bonn. Auch Hubert Paulus warnt vor früheren Empfehlungen, bei einem Gewässerunfall so lange im Auto zu bleiben, bis genügend Wasser eingedrungen ist, um nach einem Druckausgleich über die Türen auszusteigen. Man sollte vielmehr sofort den Sicherheitsgurt lösen und raus: "Das ist die einzige Chance, alles andere wäre tödlich", warnt der Technikexperte.

Zu diesem Schluss kamen auch die Unfallforscher des AZT. Betrachte man die Versuchsergebnisse, sei es nicht zu empfehlen, auf den Druckausgleich zu warten. Schließlich würde das bedeuten, mindestens eine Minute unter Wasser zu bleiben, ohne zu atmen und ohne in Panik zu geraten. Zudem lasse sich überhaupt nicht vorhersagen, in welcher Position das Auto auf dem Grund des Gewässers ankommt - etwa auf den Rädern stehend oder auf dem Dach oder der Seite liegend.

Fensterheber oder Schiebedächer funktionieren noch

Dagegen sei der Ausstieg über die Seitenfenster noch in den ersten 15 Sekunden nach dem Aufprall des Fahrzeugs auf die Wasseroberfläche möglich, so die AZT-Experten. Der Ausstieg über das Schiebedach sei innerhalb von 35 Sekunden möglich. Elektrische Systeme - wichtig bei Fahrzeugen mit elektrischen Fensterhebern oder Schiebedächern - funktionierten bei den Versuchen auch unter Wasser noch bis zu zwei Stunden.

Ein Problem ganz anderer Art bei einem solchen Extremunfall gibt jedoch Maximilian Maurer, ADAC-Sprecher in München, zu bedenken: "Hat man überhaupt die Coolness, diese Ratschläge umzusetzen?" Betroffene sollten zumindest alles versuchen, Panik niederzukämpfen, um sich richtig zu verhalten - denn auf Hilfe von außen dürfen sie bei einem Gewässerunfall nicht vertrauen. "In diesem Fall ist es ganz wichtig, dass die Insassen wissen, was sie tun müssen", sagt Hartmuth Wolff, Leiter der Sicherheitsforschung beim AZT. Als Ersthelfer habe man kaum eine Chance, etwas auszurichten.

Oft bleibe Zeugen nur, schnellstmöglich einen Notruf abzusetzen, sagt auch DVR-Mitarbeiter Jürgen Bente. Schließlich sollten sie sich durch unüberlegte Rettungsversuche nicht auch noch selbst in Gefahr bringen. Allerdings hängen die Möglichkeiten von Ersthelfern laut Bente auch von der Art des Gewässers ab, in das ein Auto geraten ist: "Es ist schon ein Unterschied, ob jemand von einer Brücke in den Rhein stürzt, oder in einen kleinen Bach fährt." Bei tiefen Gewässern seien Ersthelfern wohl die Hände gebunden - bei flacheren, in denen sie womöglich sogar stehen können, sei das vielleicht nicht der Fall.

Darauf weist auch Hartmuth Wolff vom AZT hin: Es habe schon Unfälle gegeben, bei denen ein Auto nach einem Überschlag mit dem Dach in einem Bächlein von einem halbem Meter Tiefe gelandet sei. "Da hingen die Insassen benommen kopfüber im Gurt und sind ertrunken. In einem solchen Fall könnte man als Ersthelfer sehr wohl helfen und die Insassen rechtzeitig herausholen."

(gms)
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