Liebhaber-Autos VW Iltis - der Ur-Quattro

Land’s End/John o' Groats · Aus der VW-Historie ist der Iltis kaum wegzudenken und selbst bei Audi halten sie große Stücke auf den kleinen Geländewagen. Schließlich gilt der Allradler als der Urahn aller Quattros.

 Zweckmäßiges Gerät: Für eine rustikale Rallye erweist sich der VW Iltis Dank seiner Geländegängigkeit als Glücksgriff.

Zweckmäßiges Gerät: Für eine rustikale Rallye erweist sich der VW Iltis Dank seiner Geländegängigkeit als Glücksgriff.

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Mercedes SL, BMW 328 und ja, zur Not auch den Mini oder VW Käfer - es gibt bessere Autos für eine Oldtimer-Rallye als den VW Iltis. Schließlich ist der 1978 präsentierte Geländewagen mit seinem 55 kW/75 PS starken 1,7-Liter-Motor nicht nur hoffnungslos untermotorisiert. Er kommt selbst bei Vollgas kaum über Tempo 120, was ihn in seiner Altersklasse schnell zum Schlusslicht macht.

Unter seinem Flatterverdeck, gegen das jedes Campingzelt solide wirkt, pfeift und zieht es so sehr, dass man ihn ab September kaum mehr aus der Garage holen möchte. Im Winter schon gar nicht.

Es scheint also ein Wunder zu sein, dass der Iltis zu den Stars bei der letzten Ausgabe der Le Jog im Dezember 2021 zählte. Aber eben nur scheinbar.

100 Oldie-Teams im Härtetest Bei dieser Winterrallye wird ein Tross von knapp 100 Oldtimer-Teams seit über zwei Jahrzehnten mitten in der ungemütlichsten Zeit des Jahres einmal längs über die britische Insel gejagt. Dafür berappen die Teams auch noch bereitwillig je rund 6000 Euro beim Veranstalter.

  Rau, aber charmant: So zeigen sich die Landschaften, die der VW Iltis auf der Le Jog durchstreift.

 Rau, aber charmant: So zeigen sich die Landschaften, die der VW Iltis auf der Le Jog durchstreift.

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Es war keinesfalls nur Mitleid, das dem rustikalen Rentner aus der VW-Sammlung hier entgegengeschlagen ist. Sondern auch Respekt und Anerkennung. Und bisweilen sogar ein bisschen Neid. Wer sich einmal im dicksten Winter auf schlechtesten Nebenstraßen und besseren Feldwegen durch die Low-, die Mid- und die Highlands gekämpft hat, der weiß warum.

Schließlich hat der Iltis nicht nur eine Karriere in Uniform hingelegt, denn er ist eigens für den harten Offroad-Einsatz bei der Bundeswehr entwickelt worden. Aber er ist auch ein Sportwagen.

Oder zumindest so etwas ähnliches. Denn mit dezenter Leistungssteigerung auf gut 74 kW/100 PS gewannen Freddy Kottulinsky und Gerd Löffelmann damit 1980 als Startnummer 137 sogar die Rallye Paris-Dakar, berichtet Sascha Neumann von der VW-Klassik-Sammlung. Auf den Plätzen zwei, vier und neun fanden sich gleich noch mal drei Iltis. Er sieht darin den Beweis für die Qualität des Autos: „Vier Iltis am Start und alle vier Autos unter den ersten Zehn im Ziel.“

Durch Wald und Wiesen, durch Moore und Gebirge Es ist also kein Wunder, dass der Iltis sich selbst als Rentner so rühmlich schlägt. Denn was ihm an Speed fehlt, macht er mit Stehvermögen wett. Und spätestens mit zugeschaltetem Allradantrieb kennt er kein Halten mehr. Und den braucht er oft auf dem Weg von Land’s End nach John o’Groats, von dem die Rallye ihren Namen hat.

 Erleuchtetes Kartenmaterial: Aber ehrlich, wissen wir noch, wo wir sind?

Erleuchtetes Kartenmaterial: Aber ehrlich, wissen wir noch, wo wir sind?

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Es geht über Wald- und Feldpisten, durch Moore und Gebirge, über Strände und Steppen, durch Furten und über Viehgitter. Und immer wieder durch Dörfer, deren Namen man nicht einmal nach drei Gläsern Highland Malt flüssig aussprechen kann.

Und bisweilen muss auch mal die Willenskraft die Wegführung ersetzen. Wie sonst sollte man sich mit Vollgas mitten durch einen Kuhstall trauen, ohne gar vollends am Verstand der Veranstalter zu zweifeln?

Auch die Besatzung ist gefordert Aber die Rallye ist nicht nur für das Auto so ziemlich das härteste Event im Oldtimer-Kalender, sondern auch für den Fahrer. Es gibt nicht nur die üblichen Geschicklichkeits- und Gleichmäßigkeitsfahrten, die bei der Le Jog gerne auch mal nächtens auf einem unbeleuchteten Truppenübungsplatz absolviert werden.

Sondern dazu kommt noch eine Routenführung, die kniffliger ist als jedes Rätsel: Bei drei Dutzend sogenannter Regularities muss der Co-Pilot ohne Vorlauf den richtigen Weg entschlüsseln, während der Fahrer schon mit Vollgas durch die Pampa brettert und die trüben Funzeln am Kühler nur mäßiges Licht über das Moor schicken.

 Mit dem Wind in den Weiden: Die Rallye Le Jog führt die Oldtimer durch abwechslungsreiche Landschaften.

Mit dem Wind in den Weiden: Die Rallye Le Jog führt die Oldtimer durch abwechslungsreiche Landschaften.

Foto: dpa-tmn/Francesco & Roberta Rastrelli

Den Blick durch eine beleuchtete Topf-Lupe auf die zeichenblockgroße Landkarte gerichtet, kauert der Sozius deshalb auf seinem Sitz und sucht nach den winzigen Wegmarken.

In der einen Hand: die Anweisungen, welche Straßen man benutzen darf und welche nicht, welche Buchstaben oder Farbkleckse auf der Route einzusammeln sind und in welcher Reihenfolge. Welche Kreuzungen man nehmen muss und welche verboten sind. In der anderen: die Liste mit den Durchfahrtszeiten, die auf die Sekunde genau gestoppt werden.

Zwischen den Knien steckt eine Dose Energydrink gegen den Sekundenschlaf und je ein Finger immer am Wegstreckenzähler und an der Stoppuhr. Und das Ganze auf einem Feldweg im Nirgendwo, in der zweiten Hälfte einer Etappe, die vor elf Stunden begonnen hat und vor dem Morgengrauen nicht zu Ende sein wird.

Dagegen ist das, was sie auf dem Festland bei Oldtimer-Rallyes machen, doch nur Kindergeburtstag. Zumal diese Regularities nicht wie üblich ein paar Minuten dauern, sondern sich teilweise über Stunden ziehen.

 Auf der Suche nach Erleuchtung: Verglichen mit modernen Scheinwerfersystemen ist die Lichtausbeute beim Iltis trotz Zusatzscheinwerfer eher bescheiden.

Auf der Suche nach Erleuchtung: Verglichen mit modernen Scheinwerfersystemen ist die Lichtausbeute beim Iltis trotz Zusatzscheinwerfer eher bescheiden.

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Lohn der Qualen: In der Klasse aufs Treppchen gefahren So oder so ähnlich müssen sich Kottulinsky und Löffelmann gefühlt haben, als sie 1980 dem Dakar-Sieg entgegenfuhren. Nur dass ihnen dabei nicht so kalt gewesen sein dürfte. Aber genau wie vor 42 Jahren als Startnummer 137 fährt der Iltis auch dieses Mal aufs Treppchen und sichert dem Team 54 zumindest in seiner Gruppe den dritten Platz. Viel mehr Ruhm kann man von einem Rentner kaum erwarten.

Ein Ehrenplatz in der VW-, oder besser noch, der Konzernhistorie gebührt dem Iltis aber nicht nur wegen des überraschenden Erfolgs damals in der Wüste. Sondern wegen jener technischen Besonderheit, die ihn auch zum Traumwagen für unseren abenteuerlichen Trip ans Ende der englischen Welt machte: Sein zuschaltbarer Allradantrieb.

Dank dessen kann man den Iltis nicht nur als geistigen Vater des Tiguans sehen, dem aktuell meistverkauften Modell in der globalen VW-Statistik. Sondern er stempelt ihn auch zur Inspiration für den Quattro, dem Audi den „Vorsprung durch Technik“ zu verdanken hat.

Vom Ilits zum Quattro Denn es war das unschlagbare Fahrverhalten eines Iltis-Prototypen bei Erprobungsfahrten im Winter, das bei Audi zur Idee führte, Allradantrieb auch in sportliche Straßen-Pkw einzubauen - was der Autowelt schließlich 1980 den Ur-Quattro bescherte.

 Rustikales Aufgebot: Bei der Rallye Le Jog werden weder Mensch noch das historische Material geschont.

Rustikales Aufgebot: Bei der Rallye Le Jog werden weder Mensch noch das historische Material geschont.

Foto: dpa-tmn/Francesco & Roberta Rastrelli

Ausschlaggeber für die Iltis-Entwicklung war aber das Militär. Denn in den 1970er Jahren war der vom Audi-Vorläufer DKW entwickelte Munga reif fürs Altenteil. Und die Bundeswehr suchte händeringend einen neuen Geländegänger.

Weil der VW-Kübelwagen mit seinem reinen Heckantrieb fürs Grobe zu fein war und sich der geplante Euro-Jeep in multinationalen Vertragsverhandlungen festgefahren hatte, nutzte Wolfsburg die Lücke. Man machte dem Militär ein Angebot.

Ein Offroader aus Wolfsburg Obwohl die Niedersachsen bis dahin keinen echten Offroader gebaut hatten, wollten sie bis 1977 unter dem Code EA 110 zehn Prototypen eines neuen Geländewagens entwickeln. Der ging im November 1978 als Iltis in Serie, berichtet VW-Experte Neumann. Die Armee war zufrieden und nahm die vereinbarten Exemplare vertragsgerecht ab.

Schon Anfang 1979 trugen 2000 Iltis eine Uniform und bis Ende 1981 hatte die Bundeswehr insgesamt 8800 Fahrzeuge für den Sanitäts- und Nachrichtendienst übernommen. VW feiert den Iltis entsprechend als Erfolg und obendrein als technischen Meilenstein.

 Nachtschicht: Bei der Le Jog gibt es auch im Dunklen Prüfungen.

Nachtschicht: Bei der Le Jog gibt es auch im Dunklen Prüfungen.

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Doch in der Oldtimerszene hat er es nie so richtig zu Ruhm gebracht. „Während seiner Laufzeit ist er bei den Privatkunden glatt durchgefallen, weil er schlicht zu teuer war“, sagt Frank Wilke, Experte vom Marktbeobachter von Classic Analytics. „Mit knapp 40 000 D-Mark kostete der Viersitzer damals fast dreimal so viel wie ein Golf.“ Kein Wunder also, dass nicht einmal zehn Prozent der Fahrzeuge im Freizeitlook daherkamen.

Auf dem zivilen Markt nicht sonderlich gefragt Und auch als Gebrauchter schaffte er nicht den Durchbruch: Was später vom Militär ausgemustert wurde, war für Sammler schlicht in einem zu schlechten Zustand. „Die Autos waren vollkommen durchgeritten und deshalb für Liebhaber eher uninteressant, selbst wenn sie natürlich mit der schier unbegrenzt verfügbaren Golf-Technik leicht zu reparieren gewesen wären“, sagt Wilke.

Wo andere Oldtimer aus der Offroad-Szene mittlerweile hohe Preise erzielen, laufe der Iltis deshalb noch immer eher als Gebrauchtwagen denn als Klassiker. Aber dem Iltis fehlt laut Wilkes noch etwas zu Ruhm und Ehre: Anders als Mercedes bei der G-Klasse, Jeep beim Wrangler oder Land Rover beim Defender habe VW die Tradition nicht gewürdigt und das Erbe nicht gepflegt.

Es gab eine halbherzige Modellpflege. Und statt irgendwann einen Nachfolger herauszubringen, bauten die Niedersachsen 1982 die Montagebänder nach nur fünf Jahren und 10 801 Einheiten ab. Zwar ging der Iltis bei Bombardier in die Verlängerung und wurde in Kanada fast unverändert weitere 4500 Mal gebaut. Doch dann verschwand er 1988 vom Markt.

 War noch nicht frisch genug, gell? So präsentiert sich der VW Iltis ohne Verdeck.

War noch nicht frisch genug, gell? So präsentiert sich der VW Iltis ohne Verdeck.

Foto: dpa-tmn/Craig Pusey Photography

Als Oldimer ist der Ilitis noch bezahlbar „Langlebigkeit und Legendenbildung geht anders“, sagt Wilke. Dass er damit wahrscheinlich recht hat, kann man an den bescheidenen Preisen sehen, die für den Iltis aufgerufen werden. Schließlich gibt es den Rallye-Rentner nach den Daten von Classic Analytics heute für 12.000 Euro.

Doch nach über 3000 Kilometern auf der Rallye Le Jog, nach fast vier Tagen und drei Nächten kreuz und quer durch England, im Morgengrauen kurz vor dem Ziel in John o’Groats sieht man die Sache naturgemäß ein bisschen anders.

Allein, dass uns der Wagen heil hierhergebracht hat, macht ihn für uns unbezahlbar. Und dass er in seiner Klasse noch vor einigen Porsches und BMWs auf Platz drei gekommen ist - das lässt ihn sogar direkt in unser Herz fahren.

(csr/dpa)
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