Hintergründe der Scheunenfunde Die Schatzsuche des 21. Jahrhunderts

Köln · Oldtimer-Experten haben in Frankreich ein Anwesen voller vor sich hin rottender Klassiker der Automobilgeschichte gefunden. War das wirklich Zufall? Und wie werde ich selbst zum Scheunenfund-Entdecker?

Die Oldtimer-Scheunenfunde aus Frankreich
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Foto: dpa, bl cv htf

Es ist ein Fund, von dem Schatzsucher träumen. Ein herrschaftliches, etwas angejahrtes Anwesen in West-Frankreich, auf der Rückseite, dort, wo ehemals ein Park gewesen sein mag, Holz-Unterstände, teils mit Ziegeln, teil nur mit Wellblech abgedeckt, darunter geparkt: dutzende Autos aus dem vergangenen Jahrhundert.

Efeu in den Fenstern, Spinnenweben an den Spiegeln, auf ausladenden Kotflügeln vom Rost aufgeworfener, abgeblätterter Lack, Frontscheiben blind vor Grünspan, Moos auf Motorhauben, die schmalen Reifen platt, Verdeck-Konstruktionen, an der der Stoff in Fetzen hängt. Und davon träumen Schatzsucher?

Ja! Denn die Oldtimer-Sammlung von rund 60 Fahrzeugen enthält legendäre Marken wie Bugatti, Hispano-Suiza, Talbot-Lago, Panhard-Levassor, Maserati, Ferrari und Delahaye. Und verschollene Exemplare, wie den Ferrari, der einst Alain Delon gehörte, und den die Entdecker in einer Garage unter einem Stapel Zeitschriften — passenderweise alte Oldtimer-Magazine - fanden.

Zwei Experten des französischen Auktionshauses Artcurial haben den sensationellen Scheunenfund gemacht, Anfang Februar werden die Schmuckstücke über ihr Haus versteigert. Kann das Zufall sein?

Darüber gestolpert sind die Experten die historischen Kulturgüter tatsächlich nicht. Vom Auktionshaus heißt es, ihr Automobil-Spezialist habe einen Tipp bekommen. "Es gibt diese Tippgeber, sozusagen automobilhistorische Trüffelschweine", erklärt Frank Wilke, Geschäftsführer des Marktanalysten Classic-Analytics. Es sind Oldtimer-Fans, in der Szene gut vernetzt, in Clubs wie dem Schnauferl-Club, dem ältesten deutschen Oldtimer-Club, aktiv, auf der Mille Miglia oder den Concours d'Elegance in Villa d'Este oder Pebble Beach zu Hause. Auch bei der Baillon-Sammlung soll es zuvor Gerüchte gegeben haben, dass in West-Frankreich ein Schatz schlummert. Die Entdeckung mag inklusive des Medienhypes geschickt eingefädelt sein — die Oldtimer sind allerdings echt.

Transport-Unternehmer Roger Baillon hatte die Sammlung in den 1950er Jahren begonnen. Der Autofan wollte ein Museum schaffen, dafür hatte er das Anwesen gekauft. Ein Sammler, der seiner Zeit voraus war, waren doch Vorkriegsmodelle nicht immer so begehrt wie heute. "Baillon rettete viele der Autos vor dem Schrottplatz", so Pierre Novikoff, Automobil-Experte bei Artcurial. In den 1970ern ging es mit dem Transportunternehmen bergab, Baillon musste Autos verkaufen. "Man dachte wohl, er hätte damals alles verkauft, so wurde die Sammlung vergessen", spekuliert der Mitentdecker.

Um es Baillon ansatzweise nachzutun, würde man heute vielleicht Fahrzeuge wie das Mercedes S-Klasse-Coupé SEC, Maserati Biturbo, Rolls Royce Silver Spirit, Lamborghini Countach - alles Achtziger-Jahre-Autos — in einen Holz-Unterstand parken und sie für die nächsten 60 Jahre vergessen.

Und damit hätte man nur ansatzweise die Einzigartigkeit der französischen Sammlung nachvollzogen. War es doch bei Vorkriegsmodellen üblich, dass das vom Hersteller ausgelieferte Fahrgestell nebst aller Technik von einem Karosseriebauer mit einem Blechkleid versehen wurde. So finden sich zum Beispiel drei Talbots aus der Schmiede des französischen Karosseriebauers Saoutchik mit ihren ausladenden Formen unter den schlafenden Schönheiten.

Die umfassende Sammlung aus Frankreich ist ein Ausnahmefall, einzelne Fahrzeuge, die seit Jahrzehnten in einer Garage oder Scheune auf ihre Wiederentdeckung warten, werden jedoch öfter publik. Vor rund einem Jahr ließ zum Beispiel Mercedes Flügeltürer aus dem Jahr 1957 das Herz der Klassiker-Gemeinde schneller schlagen. Er hatte seit den 1970er-Jahren unberührt in einer Garage gestanden.

Das Besondere an dieser Art Scheunenfunde: Auch wenn der Motor fest sitzt und das Getriebeöl verharzt ist, zahlen Liebhaber für den Originalzustand, die so genannte "Patina" ist begehrenswert. Einen neuzeitlichen Klassiker kann man durchaus selbst "finden": Opas seit 15 Jahren stillgelegter Kadett in der Garage oder des Nachbarn früherer Mercedes W123, zum Beispiel. "Ein unverbasteltes Ersthand-Fahrzeug zu haben, ist vielen Leuten wichtiger als ein einwandfreier Zustand", so Frank Wilke.

Das Potenzial für die richtig wertvollen Scheunenfunde ist hierzulande allerdings nicht besonders groß, meint der Oldtimer-Experte. Dafür sei man in Deutschland zu spät, erst Mitte der 70er-Jahre, in die professionelle Oldtimersammelei eingestiegen. Mit der ersten "Veterama" 1975, dem Veteranen-Markt in Mannheim, hat die Verbreitung dieses Hobbys richtig begonnen. In der "Wiege der Oldtimerszene", in England, geht die Sammler-Tradition deutlich weiter zurück — und damit auch das Potenzial auch heute noch verschollene Pretiosen oder große Vorkriegs-Marken zu finden.

Einen Lord, der in einer der unzähligen Scheunen rund um sein Schloss eine kleine Sammlung alter Bugattis oder Bentleys angelegt hat, von der seine Nachfahren irgendwie gehört haben, aber in den vergangenen Jahrzehnten einfach nicht dazu gekommen sind, mal vorbei zu fahren? Bei dem Gedanken schaltet sich doch nicht nur bei Autoverrückten mit Schatzsucher-Mentalität gleich das Kopfkino an.

(SP-X)
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