Pro und Contra Brauchen wir ein Tempolimit auf Autobahnen?

Düsseldorf · Die Umwelthilfe fordert ein Tempolimit von 120 auf deutschen Autobahnen. Der Vorschlag ist umstritten. Sollen wir von den Niederlanden lernen? Oder haben wir in Deutschland schon genug Verbote? Ein Pro und Contra.

 Ein Verkehrsschild an der A59 bei Troisdorf begrenzt die Geschwindigkeit auf 120 Stundenkilometer.

Ein Verkehrsschild an der A59 bei Troisdorf begrenzt die Geschwindigkeit auf 120 Stundenkilometer.

Foto: dpa/Oliver Berg

PRO: Von den Niederlanden lernen

Wer über die niederländische Grenze fährt, merkt es sofort: Auf den Autobahnen dort geht es viel entspannter zu. Und das liegt nicht daran, dass unsere Nachbarn insgesamt gelassener wären (okay, das sind sie wahrscheinlich auch), sondern vor allem am Tempolimit von maximal 130 km/h. Wer einen Lastwagen überholen möchte, kann das in Ruhe tun. Und muss nicht damit rechnen, dass von hinten ein eiliger Geschäftsmann im Audi A8 angeschossen kommt, der erst in letzter Sekunde auf die Bremse steigt. Schon allein das entspannt die Lage extrem.

Wir haben uns daran gewöhnt, mit kritischen Situationen und Beinahe-Unfällen auf der Autobahn zu leben – wir sollten es uns dringend wieder abgewöhnen, solche Schreckmomente als selbstverständlich hinzunehmen. Autofahren ist und bleibt ein Risiko. Aber Geschwindigkeitsunterschiede von 100 Stundenkilometern auf derselben Spur sind einfach nur gefährlich. Dafür braucht man keine Studien, die es natürlich gibt, da reicht der gesunde Menschenverstand.

Ja, es stimmt: Die meisten Unfälle passieren in Deutschland nicht auf Autobahnen. Und die Zahl der Verkehrstoten sinkt immer weiter. Aber es geht hier immerhin um Tote, und auch wenn es abgedroschen klingen mag: Jeder von ihnen ist einer zu viel. Es gibt noch weitere Argumente für ein Tempolimit von 120 oder 130 km/h: Manche Autofahrer würden sich zum Beispiel überlegen, ob ein spritsparender Kleinwagen nicht die bessere Wahl wäre. Selbst wer weiter mit vielen PS unterwegs ist, fährt langsamer gleich deutlich sparsamer. Nicht zuletzt wünscht sich mehreren Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bundesbürger ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Bei Frauen liegt der Anteil übrigens deutlich höher als bei Männern.

Wer es noch zeitgemäß findet, ohne Sinn und Verstand bei 220 km/h Sprit zu verpulvern, kann das gern tun. Aber dann bitte am Wochenende auf einer privaten Rennstrecke und nicht als Teil des alltäglichen Lebensstils. Dann wären wir auch das Problem los, dass Fahrer aus umliegenden europäischen Ländern zum Autobahn-Rasen nach Deutschland kommen.

Wer manche Autofahrer reden hört, könnte meinen, die deutschen Autobahnen seien die letzte Bastion der Freiheit. Mindestens genauso aufgeregt hat Deutschland in den 70er Jahren über die Einführung der Gurtpflicht diskutiert. 40 Jahre später gilt, wer sich nicht anschnallt, zurecht als dumm. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, dass damals ernsthaft argumentiert wurde, durch den Gurt zerknittere doch das Oberhemd. Genauso wenig, wie wir uns noch vorstellen können, dass früher im Flugzeug geraucht wurde. Eine Gesellschaft entwickelt sich weiter und gibt sich neue Regeln. So wie der Sicherheitsgurt selbstverständlich geworden ist, wird sich auch unsere Sicht aufs Brettern über die Autobahn verschieben – hoffentlich. Judith Conrady

CONTRA: Nicht mehr Verbote als nötig

Ist es sinnvoll, mit 250 Stundenkilometern über eine deutsche Autobahn zu brettern? Nein. Aber der Staat muss trotzdem nicht jeden Unsinn verbieten.

Raucher, Impfverweigerer, Billigfleisch-Esser und Schneckenkorn richten auch Schaden an. Ist trotzdem alles erlaubt. Richtig so. Denn ein guter Staat kommt mit möglichst wenig Verboten aus.

Beim Streit um das Tempolimit geht es also um eine Güterabwägung. Ist der Nutzen des Verbots unsinniger Raserei größer als der Nutzen eines liberalen Staates, der seinen Bürgern vertraut und sie deshalb nur in Ausnahmefällen bevormundet? Meine Prognose: Schon weil der Nutzen „Tempolimit“ leichter zu formulieren ist als der Nutzen „liberaler Staat“, wird der öffentliche Druck früher oder später zu einem Tempolimit führen. Die Gegner werden ja heute schon als gewissenlose Verkehrsidioten diffamiert. Allenfalls darf man noch ein wenig über das Wie streiten.

Ich halte ein generelles Limit von „120“ für zu streng. Wer Raserei für das wesentliche Übel deutscher Autobahnen hält, sollte das Statistische Bundesamt zur Kenntnis nehmen: Autobahnen sind – bezogen auf die gefahrenen Kilometer – die sichersten Straßen in Deutschland. Auch ohne generelles Tempolimit. Die Zahl der Unfalltoten ist von über 13.000 pro Jahr in den 1980er Jahren auf zuletzt 3180 gesunken. Obwohl die Verkehrsdichte dramatisch zugenommen hat.

Der Grund: Die Autos sind sicherer geworden. Moderne Bremssysteme (ABS), Assistenzsysteme (ESP), bessere Reifen und Fahrwerke, die auch bei hohen Geschwindigkeiten spurstabil sind, haben segensreiche Folgen. Und, ja, sie ermöglichen auch höhere Geschwindigkeiten. Anders als in einer 1970er Ford-Taunus-Schaukel sind 160 Stundenkilometer heute selbst in einem 15 Jahre alten Corsa gut beherrschbar. Und dann gibt es ja auch noch ein paar richtige Autos. Mal ehrlich: Reicht für’s erste nicht ein Tempo-Limit 170?

Nach meiner Beobachtung ist das wesentliche Problem auf deutschen Autobahnen ohnehin der Dienstwagen. Auf der linken Spur sammeln sich heute nämlich nicht mehr die schnellen Autos und auf der rechten die langsamen. Bei den heutigen Spritpreisen fährt rechts, wer seinen Sprit selbst bezahlen muss und links, wer eine Tankkarte vom Chef in der Tasche hat. Denn das fortgeschrittene Stadium der Gaskrankheit schlägt mit Spritverbräuchen von über 18 Litern auf 100 Kilometern zu Buche.

Wer unbedingt etwas verbieten will, sollte beim Gratis-Sprit für Firmenmitarbeiter anfangen. Denn der hebelt das Verursacherprinzip und damit einen anderen wichtigen Grundsatz des liberalen Staates aus. Wer im Rausch Unmengen an Benzin verjubeln will, soll das wenigstens selbst bezahlen. Schon diese kleine Korrektur würde die meisten Tempo-Exzesse auf deutschen Autobahnen verhindern. Ganz ohne Bevormundung. Thomas Reisener

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