Meilensteine der Automobilgeschichte Mythos Mercedes - Die Jahre 1954 bis 1972

Düsseldorf (RPO). Die legendäre Nachkriegs-Epoche von Mercedes-Benz beginnt eigentlich schon 1952 mit den bedeutenden Erfolgen des 300 SL in seiner Rennversion: Siege bei der Carrera Panamericana und in Le Mans trugen viel zum neuen Mythos bei. Dieser Ruf wurde zwei Jahre später endgültig etabliert, als die Dreizack-Marke bei der International Motor Sports Show im Februar 1954 in New York die Serienversion des 300 SL präsentierte.

1954 bis 1972: Die großen Jahre von Mercedes-Benz
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Waren die Flügeltüren das äußerlich spektakulärste Merkmal eines der aus heutiger Sicht schönsten Sportwagens aller Epochen, so bedeutete er seinerzeit auch einen Riesensprung in der Serientechnik für Hochleistungsfahrzeuge. Der filigrane Gitterrohrrahmen kam modifiziert ebenfalls in den Grand Prix-Rennwagen (W 196) der Weltmeister-Jahre 1954/55 zum Einsatz.

Die Benzin-Direkteinspritzung für den Dreiliter-Reihensechszylindermotor des 300 SL basierte auf den Erfahrungen, die der spätere Mercedes-Technikvorstand Hans Scherenberg zuvor bei der Firma Gutbrod sammelte. Der 300 SL-Motor, aus Platzgründen um 45 Grad geneigt eingebaut, war mit 158 kW/215 PS stark genug, um je nach Achsübersetzung Geschwindigkeiten bis zu 260 km/h zu realisieren. Die ästhetisch perfekt geschnittene Karosserie war ein Werk des schwäbischen Ingenieurs und Designers Friedrich Geiger, der bis 1970 für alle herausragenden Mercedes-Modelle verantwortlich zeichnete.

Formschöner Reisewagen

1961, zum Jubiläum "75 Jahre Motorisierung des Verkehrs", gab es einen erneuten Höhepunkt: das 220 SEb Coupé und Cabriolet. Aufbauend auf den Erfahrungen mit der "Heckflossen"-Limousine (W 111) gelang den Mitarbeitern in der Abteilung Stilistik im Werk Sindelfingen ein formschöner sportlicher Reisewagen, dessen Linienführung in wesentlichen Bereichen auch für die S-Klasse von 1965 Pate stand. Rahmenlose Seitenscheiben, eine mit charakteristischem und elegantem Schwung aufwartende C-Säule sowie der 1969 vollzogene Schritt zu einer flacheren Front trugen dazu bei, dass diese Fahrzeuge optisch kaum alterten.

Das gilt ebenfalls für die S-Klasse ab 1965 (W 108/109), die sich im Heckbereich dezenter gab als der Vorgänger und im Modell 300 SEL 6.3 von 1968 ihren Höhepunkt fand. Die mit den vertikalen Doppelscheinwerfern aus dem ursprünglich nur für die US-Versionen vorgesehenen Entwurf aufwartende Power-Limousine verfügte über den 6,3 Liter-Achtzylindermotor aus dem Repräsentations-Mercedes 600 (W 100). 6526 Exemplare des 220 km/h schnellen "6.3", der in nur 6,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 sprintete, verließen das Werk im Zeitraum Dezember 1967 bis September 1972.

Deutlicher Image-Schub

Der 300 SEL 6.3 bewirkte einen deutlich Image-Schub für Mercedes. Er kam auf den Markt, ehe BMW ab 1968/69 mit den großen Sechszylinder-Limousinen und Coupés durchstartete, sowie ebenfalls rechtzeitig genug, um die Vorherrschaft der Marke gegenüber dem neuen Jaguar XJ zu behaupten. 1971 feierte die Rennversion dieses Baumusters bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps einen unerwarteten zweiten Platz, der wie ein Sieg gefeiert wurde.

Die großen Mercedes-Jahre wären nicht komplett, ohne die SL-Fahrzeugentwicklung zu erwähnen, sowie die Wankel-Versuchswagen des Typs C 111. Im SL-Segment kam es 1963 zu einer Design-Revolution: Friedrich Geiger zeichnete einen extrem filigran und in seiner strengen Geometrie nahezu vollkommen wirkenden Zweisitzer (W 113), dessen im Profil nach innen "hängendes" Hardtop-Dach schnell zum Beinamen "Pagode" führte. Zunächst als 230 SL auf dem Markt, wurden bis zum Produktionsende 1971 (Modell 280 SL) 48.912 Fahrzeuge gebaut.

C 111-I-Debüt zur IAA 1969

Ende der 60er Jahre entstand in der Versuchsabteilung schließlich das Wankel-Coupé C 111, zunächst als C 101 geführt. Doch ebenso wie Porsche die Bezeichnung 901 in 911 ändern musste (Peugeot hatte sich die "Mittel-Null" rechtlich sichern lassen), erging es auch Mercedes. Mit Flügeltüren, Kunststoff-Karosserie und dem noch exotisch wirkenden Motor-Konzept erregten die Versuchsträger weltweites Aufsehen.

Zur IAA 1969 debütierte der C 111-I in makellosem Weiß, der Mittelmotor hier noch in der Ausführung als Dreischeiben-Aggregat mit 280 PS. Bereits sechs Monate später, zum Genfer Salon 1970, erschien die Ausführung des C 111-II mit Vierscheiben-Wankel und einem in wesentlichen Punkten verbesserten Fahrwerk. Jetzt waren die zuvor bemängelten Kriterien, wie nicht ausreichende Motorleistung, mangelnde Standfestigkeit des Dreischeiben-Wankelmotors sowie Kühlungsprobleme, kein Thema mehr.

Gewaltiger Hype um C 111

Dieser zweite C 111 besaß von Beginn an die bekannte orangefarbene Lackierung ("Weißherbst metallic"), und er mobilisierte mit vier kreisenden Kolben 350 PS. Das reichte für Tempo 300 und den Sprint auf Tempo 100 in 4,8 Sekunden.

Der Hype um den Wankel-C 111 war gewaltig, durchaus vergleichbar der Aufbruchsstimmung rund um die 300 SL-Präsentation von 1954. Aber diesmal wurde das Konzept nicht weiterentwickelt, es blieb bei den späteren Modifikationen hin zum Diesel-Rekordwagen. 1972 debütierte eine neue S-Klasse (W 116), sehr beeinflusst von Sicherheits-Aspekten und Trends, wie sie die ESF-Fahrzeuge auszeichneten. Eine neue Ära begann.

(SP-X)
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