EU-Führerscheinreform Verpflichtende Senioren-Fahrtests – Das sagen Verbände und Experten

Berlin · Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen Senioren ab 70 Jahren alle fünf Jahre ihren Führerschein erneuern. Warum Verkehrsexperten die Diskussion befürworten, aber von Fahrprüfungen abraten.

Bisher hat die Auto- und Motorrad-Fahrerlaubnis in Deutschland kein Verfallsdatum (Symbolbild).

Bisher hat die Auto- und Motorrad-Fahrerlaubnis in Deutschland kein Verfallsdatum (Symbolbild).

Foto: Shutter/alexkich

Die Europäische Kommission hat eine Vision: keine Verkehrstoten auf europäischen Straßen bis 2050. Um dieses Ziel zu erreichen, will sie die EU-Vorschriften für den Führerschein überarbeiten. Es gebe nämlich immer noch zu viele Führerscheininhaber, die im Straßenverkehr der EU ein Risiko darstellen, weil sie nicht fahrtauglich seien. Die vorgeschlagene Führerscheinreform lässt aber besonders eine Gruppe von Autofahrern aufhorchen: Senioren. Denn Menschen ab 70 Jahren sollen demnach alle fünf Jahre ihre Fahrtauglichkeit unter Beweis stellen.

Wie eine solche Überprüfung aussehen soll, ist nicht festgelegt. Jedes EU-Land soll selbst entscheiden können, ob betroffene Autofahrer ihre Fahrtauglichkeit beispielsweise in Form einer Gesundheitsüberprüfung, durch Auffrischungskurse oder Fahrprüfung erneut bestätigen lassen. Auch eine bedingungslose Pflicht zur regelmäßigen Verlängerung des Führerscheins ist nicht ausgeschlossen. Während diese Regelung in einigen EU-Ländern wie Spanien oder Dänemark bereits umgesetzt werden, wäre es ein Novum in Deutschland. Einmal bestanden, muss die Führerscheinprüfung hier nämlich nur in begründeten Fällen wiederholt werden. Der Vorschlag wird deshalb kontrovers diskutiert.

Führerschein-Quiz: Einige Fragen aus der theoretischen Prüfung
21 Bilder

Testen Sie Ihr Führerschein-Wissen!

21 Bilder
Foto: www.123fahrschule.de/fragenkatalog

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) warnt davor, solche Regelungen pauschal an das Lebensalter zu knüpfen: „Nicht das Alter ist für die Fahrtüchtigkeit entscheidend, sondern gesundheitliche Einschränkungen. Und die sind grundsätzlich altersunabhängig“, sagte Jens-Peter Kruse, Mitglied im BAGSO-Vorstand, unserer Redaktion. Im Hinblick auf die Unfallzahlen sehe die Arbeitsgemeinschaft auch keine Notwendigkeit für eine Veränderung. Laut dem Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2021 Menschen ab 65 Jahren nur an 14,5 Prozent aller Verkehrsunfälle beteiligt.

Diese Zahlen seien jedoch mit Vorsicht zu genießen, wie Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) betonte. Probleme im Straßenverkehr träten vermehrt erst ab 75 Jahren auf und insbesondere Seniorinnen besäßen viel seltener einen Führerschein, weshalb ältere Autofahrer unterrepräsentiert seien. In Bezug auf die Kilometerfahrleistung zeigt sich dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer zufolge aber klar: „Senioren sind sehr wohl ein Risiko im Straßenverkehr.“ Auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Waren ältere Menschen als Pkw-Fahrerinnen oder -Fahrer in einen Unfall verwickelt, so trugen sie in mehr als zwei Drittel der Fälle (68,2 Prozent) die Hauptschuld. Brockmann plädiert deshalb dafür, die Diskussion um eine Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Alter nicht vorschnell abzutun.

Einen verpflichtenden Fahrtest – zum Beispiel in Form einer einstündigen Fahrstunde – hält Brockmann jedoch für ungeeignet. „Diese kurze Zeit reicht nicht aus, um immer zutreffende Urteile zu fällen“, so Brockmann. Er befürwortet stattdessen die sogenannte Rückmeldefahrt. Dabei fahren die Senioren mit einem geschulten Fahrlehrer rund 45 Minuten. Im Anschluss erhalten sie eine detaillierte Rückmeldung zum Fahrverhalten sowie Empfehlungen, beispielsweise das Fahren in belebten Großstädten zu meiden. Diese Rückmeldung bleibe aber vertraulich und führe nicht automatisch zum Führerscheinverlust.

Führerschein umtauschen: Zehn wichtigsten Fakten, die man beim Umtausch des Führerscheins beachten muss
Infos

Zehn wichtigsten Fakten, die Sie beim Umtausch des Führerscheins beachten müssen

Infos
Foto: dpa/Federico Gambarini

Auch der ADAC plädiert für solche begleiteten Fahrstunden – auf freiwilliger Basis. „Wir setzen da auf die Eigenverantwortung der Senioren“, sagte ADAC-Sprecherin Katharina Lucà. Eine verpflichtende Fahrtauglichkeitsüberprüfung, die von einem gewissen Alter abhängig gemacht wird, beurteilt der ADAC hingegen als „unverhältnismäßig“.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue EU-Führerscheinrichtlinie ist derzeit Gegenstand der Verhandlungen im Rat. Deutschland sei der Ansicht, dass Gesundheitsuntersuchungen bei Auto- und Motorradfahrern nur anlassbezogen, also bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für körperliche oder geistige Fahreignungsmängel, erfolgen sollten, wie das Bundesverkehrsministerium mitteilte. „Dies hat Deutschland im Vorfeld des Richtlinienvorschlags wiederholt gegenüber der Europäischen Kommission so vorgetragen und wird diese Position auch bei den nun anstehenden Verhandlungen im Rat so vertreten“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprach sich zuletzt am Donnerstag vor einem Treffen mit EU-Kollegen in Luxemburg dagegen aus. Es gebe keine signifikant hohen Unfallzahlen in dieser Altersgruppe, weswegen er von einer unverhältnismäßigen Maßnahme sprach. „Die Grundfrage ist doch: Gibt es überhaupt einen Grund, dass man hier zusätzliche Anforderungen stellt“, so Wissing. Im Einzelnen müsse man sich das Thema noch mal genau anschauen. „Aber ich bin sehr skeptisch“, betonte der Verkehrsminister. Er vertrete eine klar ablehnende Position gegenüber verpflichtenden Gesundheitstests.

(mit dpa-Material)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort