Biosprit bleibt umstritten Druck für Sofort-Stopp von E10 wächst

Düsseldorf · Entwicklungsminister Niebel hat in ein Wespennest gestochen: Die hohen Getreidepreise stellen den Biosprit E10 in Frage. Selbst die Grünen und Umweltschützer pflichten dem FDP-Mann bei. Sie fordern ein schnelles Ende der Biospritproduktion.

Checkliste: Fragen und Antworten zu E10
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Foto: AP

Es kommt selten vor, dass Politiker von SPD und Grünen sowie Umwelt- und Verbraucherschützer dem Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) beipflichten. Niebel hatte angesichts steigender Nahrungsmittelpreise einen vorläufigen Verkaufsstopp für den Biosprit E10 verlangt.

Wegen der globalen Dürrefolgen sind die Getreidepreise stark gestiegen. Die Vorräte sind laut Weltgetreiderat in den vergangenen Monaten drastisch gesunken. Ist es da noch legitim, große Getreidemengen zu Ethanol zu verarbeiten? Entwicklungshelfer, Umweltschützer und zunehmend Politiker in Deutschland formieren sich gegen Biospritplantagen.

Verbraucher tanken zunehmend E10

Dabei legt nach dem schwierigen Start im vergangenen Jahr der Biosprit E10 an deutschen Tankstellen jetzt zu. Der Absatz klettert seit Monaten, wenn auch nur langsam. Der Anteil am Benzinabsatz stieg im Juli auf 14,3 Prozent, aber auch der Literpreis steuert mit durchschnittlich 1,66 Euro auf einen Rekord zu. Doch während die Akzeptanz bei den Verbrauchern steigt, hat die Politik eine Debatte um den Sinn von Biosprit entfacht.

Schon 2011 war der baldige Tod vorausgesagt worden, damals ging es hauptsächlich um den Käuferstreik, weil Autofahrer um ihre Motoren fürchteten, wenn sie den Biosprit tanken. Nun rückt die Grundsatzdebatte in den Vordergrund: Tank oder Teller lautet die Frage. Die Kritiker von gestern sehen sich durch die Entwicklungen bestätigt.

Grüne und Umweltschützer pflichten FDP bei

Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel erläutert, die Nutzung von Mais, Weizen und Rohrzucker für Treibstoff treibe die Lebensmittelpreise in die Höhe und führe zu Hunger in Entwicklungsländern. Um Platz für Biospritplantagen zu schaffen, würden zudem Bauern in Afrika und Asien von ihrem Land vertrieben, schrieb er in der "Bild am Sonntag". Dieses Land fehle dann wiederum für den Nahrungsmittelanbau. "Biosprit muss abgeschafft werden, denn er verschärft den Hunger in der Welt", unterstrich Spiegel.

Auch Greenpeace fordert ein Stopp des Biosprits. Agrarexperte Martin Hofstetter sagt: "Angesichts der weltweiten Getreideknappheit macht so ein Schritt Sinn". Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist für einen Stopp des Sprits mit zehn Prozent Ethanol.

Für den FDP-Generalsekretär Patrick Döring hat das Thema "eine ethische Dimension". "Dass wir wertvolles Ackerland mit Pflanzen bebauen, aus denen Biosprit und Biogas hergestellt werden, ist weder sinnvoll noch nachhaltig", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Döring sorgt sich vor allem um die Folgen für Deutschland, wo es zu einer "Verknappung von Ackerland" kommen könne: "Wenn ganze Landstriche zu Maisanbaugebieten werden, ist das nicht die Kulturlandschaft, die wir in Deutschland historisch haben."

Verbraucherschützer: E10 ist gescheitert

Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband sieht E10 als gescheitert an. "E10 hat nie funktioniert", sagte Verkehrsreferent Otmar Lell der dpa. Sinnvoller sei es, die CO2-Grenzwerte für Autos zu verschärfen. Mittelfristig führe kein Weg an Elektroautos vorbei.

"Heute wissen wir, dass durch Biosprit keine CO2-Emissionen eingespart werden", sagt Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. Umweltschützer meinen, dass durch die Umwandlung von Wald- und Wiesenflächen in Ackerland für den Energiepflanzenanbau im Boden gebundenes CO2 entweiche. Zudem sei die Herstellung von Ethanol wegen des Energiebedarfs CO2-intensiv. Die Biospritbranche bestreitet, dass es keinen Klimanutzen gebe. "Generell ist Biosprit ein Irrweg, sowohl in Deutschland als auch in den USA", sagt Thilo Bode. Das sei eine Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau und treibe im Weltmaßstab die Preise nach oben.

Umweltminister Altmaier unter Druck

Mit seiner Forderung setzt Niebel auch den zuständigen Umweltminister Peter Altmaier (CDU) unter Druck. Die derzeit händeringend nach Profilierungsthemen suchende FDP hat eine Debatte ausgelöst, die wegen der globalen Dürrefolgen nicht so schnell abebben dürfte.

Altmaiers Haus geht bisher trotz mehrfacher Nachfragen nicht näher auf Niebels E10-Forderung ein, es gibt nur ein allgemeines Bekenntnis zur Bioenergie, vor allem zur Biomasse für die Strom- und Wärmegewinnung in Biogasanlagen. Aber das verschärft das Problem zum Teil - in Ländern wie Niedersachsen drohe durch den Maisbedarf für Biomasse und Tierfutter eine "Vermaisung" der Landschaft, heißt es.

Denn neben Biosprit und Biogas forciert der Futtermittelbedarf für den steigenden Fleischkonsum die Konkurrenz zur Produktion von Nahrungsmitteln. So gibt es neben der Tank/Teller- inzwischen auch eine Tank/Trog-Debatte. Ein Vehikel bei großen Biogasanlagen könnte ein Auslaufen der Förderung sein. Die Bürger subventionieren sie mit Milliardengeldern über den Strompreis. Altmaier hält die bereits mehr als 7100 Biogasanlagen für wichtig, weil sie grundlastfähig sind - sie können kontinuierlich Strom liefern und sind anders als Wind und Sonne nicht von den Launen des Wetters abhängig.

E10-Verbot kaum umsetzbar

Dabei ist eins klar: Eine Umstellung bei Tankstellen und Raffinerien würde nicht von heute auf morgen gehen. Sollte die Bundesregierung den Sprit wirklich kippen wollen, muss sie sich auf EU-Ebene für Alternativen einsetzen. Ein Einfrieren oder Senken der Bioquote müsste gemeinsam von den EU-Staaten vereinbart werden.

Denn 2007 hatte sich die EU darauf geeinigt, dass Ausstoß-Grenzwerte bei Neuwagen nur auf 130 Gramm Kohlendioxid je Kilometer gesenkt werden - und weitere zehn Gramm CO2 durch eine Erhöhung des Biokraftstoffanteils eingespart werden. Für 2012 gilt daher eine Bioquote von bereits 6,25 Prozent. Deutschland entschied sich dafür, per Beimischungsregelung die Quote zu erfüllen. Erst gab es problemlos E5, bevor 2011 das als "Ökoplörre" verschmähte E10 kam. Die Befürchtungen, die zunehmende Verarbeitung von Getreide zu Biokraftstoff könne zu Nahrungsengpässen führen, sehen Kritiker nun belegt.

Doch die Getreideengpässe wären durch ein E10-Aus kaum zu beheben. Aber es wäre ein Signal. Allein in den USA wandern 40 Prozent der Maisernte in den Tank. Hier spielen weniger Klimaschutzgründe eine Rolle, sondern unter anderem die Entlastung der US-Handelsbilanz durch weniger Ölimporte. In Deutschland ist der Anteil an Getreidefläche für die Biospritproduktion allerdings erheblich geringer. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums werden in Deutschland 240.000 von insgesamt 12 Millionen Hektar Getreide und Zuckerrüben für Bioethanol angebaut.

E10-Befürworter formieren sich

Die Biokraftstoffindustrie betont, das Benzin mit zehn Prozent Ethanol aus Getreide, Raps und Rüben verschärfe nicht Hungerkrisen, ein E10-Aus sei völlig wirkungslos. Nur vier Prozent der deutschen Getreideernte seien 2011 in die Ethanolproduktion gegangen.

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Christian Ruck (CSU) erklärte, im Moment sei Bioenergie nicht der Grund für Hunger in der Welt. Matthias Miersch, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, warf Niebel "plakativen Aktionismus" vor. "Um kurzfristig dem globalen Hunger durch die aktuellen Missernten entgegenzuwirken, bringt ein Verkaufsstopp von E10 nichts", sagte er.

Auch der Bauernverband lehnte ein Verbot von Biosprit ab. "Die Einführung von E10 sollte nicht in Verbindung mit Ernährungsproblemen in Entwicklungsländern gebracht werden", sagte Vize-Generalsekretär Udo Hemmerling der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

(dpa/fas/afp/reu)
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