So sieht Merkels Diesel-Rechnung aus Die Autokanzlerin schaltet in den Kümmermodus

Frankfurt/Berlin · Diesel-Fahrer sind auch Wähler. Das weiß auch Angela Merkel. Vor der wichtigen Landtagswahl im CDU-geführten Hessen am Sonntag hat die Kanzlerin deswegen in den erhöhten Kümmermodus geschaltet.

 Angela Merkel spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung der CDU Hessen.

Angela Merkel spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung der CDU Hessen.

Foto: dpa/Swen Pförtner

Denn in der Pendlermetropole Frankfurt am Main drohen schon bald Diesel-Fahrverbote. Für Merkel geht es nach Dauerquerelen in der großen Koalition und der Klatsche für CSU und SPD in Bayern auch darum, überhaupt wieder Vertrauen in ihre Regierung herzustellen - und den Wahlkämpfern vor Ort nicht noch mehr Gegenwind aus Berlin zuzumuten. Viele Fragen sind aber offen.

Im Kampagnen-Endspurt von Ministerpräsident Volker Bouffier sendet die CDU-Chefin gerade Beruhigungsbotschaften gen Hessen: Zentral sei, dass man das Auto weiter nutzen könne. An den Grenzwerten für saubere Luft werde nicht geschraubt. Und wenn die Belastung in Frankfurt nach neuen Daten höher ist, kommt es eben mit ins Paket für Städte mit der dicksten Luft, das Union und SPD vor drei Wochen geschnürt haben. Bestandteil eins: Extra-Rabatte für saubere Wagen, um mehr schmutzige Diesel von den Straßen zu bekommen. Kernpunkt zwei: Abgas-Umbauten an Motoren älterer Diesel, deren Besitzer sich kein anderes Fahrzeug leisten können. Darauf dringt die SPD - und CDU-Wahlkämpfer Bouffier.

Hessischer Druck hat Merkel denn auch offensichtlich zum Beidrehen in dieser Frage bewogen - erklärt hat sie das bisher nicht. Denn lange Monate hatte die Kanzlerin die Debatte zuvor laufen lassen und schlug sich sogar auf die Seite der Skeptiker von Hardware-Nachrüstungen. Die bedeuteten Kosten von Tausenden Euro je Wagen und zwei bis drei Jahre Arbeit für die Ingenieure. „Ist das die richtige Beschäftigung für die Automobilindustrie?“, gab Merkel noch im Mai zu bedenken. Nun soll es also doch möglich werden, wenn auch begrenzt auf bestimmte Städte. Allerdings müssen dafür erst noch die Autobauer ins Boot geholt werden, die dafür auch komplett zahlen sollen.

Das Problem ist nur: Die Konzerne lassen die Politik bisher mehr oder weniger kühl abprallen. Die SPD brachte als weitere Drohkulisse schon Bußgelder für mehr als 2,5 Millionen Diesel ins Spiel, bei denen es um Abgasbetrug geht - Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) macht aber keine Anstalten in diese Richtung. Und die Kanzlerin? Nicht nur der oberste Verbraucherschützer Klaus Müller monierte: „Es ist mir ein Rätsel, dass sie dieses zentrale Thema, das sehr viele Menschen bewegt, der Umweltministerin und dem Verkehrsminister überlassen hat.“ Zwar lässt Merkel keinen Zweifel, dass die Branche verlorenes Vertrauen wiedergewinnen müsse. Öffentlich die volle Autorität ihres Amtes in die Waagschale geworfen hat die Kanzlerin bisher aber nicht.

Diesel-Fahrverbot 2019 - welche Städte in NRW sind betroffen?
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Welche NRW-Städte sind vom Diesel-Fahrverbot betroffen?

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Währenddessen schaffen Gerichte Fakten. Die klagefreudige Deutsche Umwelthilfe erwirkt ein Fahrverbot nach dem anderen: In Hamburg sind bereits zwei Straßenabschnitte in der Innenstadt gesperrt. Neben Frankfurt drohen 2019 auch Stuttgart, Aachen und Berlin Fahrverbote. Schon an diesem Mittwoch folgt die nächste Gerichtsverhandlung für Mainz. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt gehört zur großen Pendlerregion Rhein-Main, so dass auch viele Hessen berührt sind.

Die Grenzwerte, basierend auf einer EU-Richtlinie, gelten seit 2010. Lange haben Politik, Hersteller, aber auch Kommunen zu wenig getan. Oder, wie es der Berliner Verwaltungsrichter vor kurzem in der der Verhandlung sagte: Das „Ende der Fahnenstange“ sei nun erreicht. Warum aber hat die Politik nicht schon längst schwerere Geschütze aufgefahren gegen die Autoindustrie, mehr für die Umwelt zu tun?

Die Autolobby gehört zu den mächtigsten in Deutschland. Die Bande nach Berlin sind eng, nicht nur beim einstigen „Autokanzler“ Gerhard Schröder (SPD), der zuvor Ministerpräsident des VW-Landes Niedersachsen war. Es ist vor allem ein Argument, das zählt: Bei Herstellern und Zuliefern arbeiten mehr als 800.000 Menschen. Die Branche zahlt Milliarden Steuern und trägt einen wichtigen Teil des Exports. Und die deutschen Autobauer hängen am Diesel, da sind sie traditionell stark.

Zwar kommt der immer neue Abgas-Ärger auch in der Politik nicht gut an. Scheuer beteuerte kurz nach Amtsantritt: „Ich bin nicht der Buddy der Auto-Bosse.“ Zugleich aber verweist auch er auf die Bedeutung der Autoindustrie. Die Opposition wolle den Diesel kaputtmachen, das sei „Diesel-Bashing.“ So heißt es in der Autolobby hinter vorgehaltener Hand, nach außen hin sei der Gegenwind vielleicht rauer geworden - die Kontakte zur Regierung aber seien nach wie vor intensiv, diese wisse um den Wert der Branche für die deutsche Volkswirtschaft.

Wie hart der Diesel im hessischen Wahlkampf durchschlägt, muss sich zeigen. Bei einer CDU-Schlappe könnte das Rumoren bis zum Parteitag im Dezember noch lauter anschwellen, für den Merkel - Stand jetzt - ihre erneute Kandidatur als Vorsitzende angedeutet hat. Die Kanzlerin baute schon mal vor, dass es sich nun natürlich um eine Landtagswahl handele. Ihr Diesel-Kurs überzeugt die meisten Bürger jedenfalls nicht. Für rund zwei Drittel tritt sie laut einer Umfrage nicht entschieden genug für die Interessen der Dieselfahrer ein.

(felt/dpa)
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