Zukunftsmusik Von rollenden „Mensch-Maschinen“

Während die Autohersteller auf der IAA eher den heutigen Stand der Technik zeigen, denken die großen Zulieferer voraus und haben schon jetzt die nächsten Autogenerationen im Blick. Doch was genau rollt da auf uns zu?

 Zulieferer ZF demonstriert auf der IAA das zusammen mit Faurecia entwickelte „Safe Human Interaction Cockpit“, in dem  Sensoren und Informationssysteme den Fahrer unterstützen – auch beim autonomen Fahren.

Zulieferer ZF demonstriert auf der IAA das zusammen mit Faurecia entwickelte „Safe Human Interaction Cockpit“, in dem  Sensoren und Informationssysteme den Fahrer unterstützen – auch beim autonomen Fahren.

Foto: dpa-tmn/Frank Rumpenhorst

Es beobachtet und vermisst seine Fahrer, warnt in 3D oder fährt gleich ganz allein. Das intelligente Auto von morgen ist ein feinfühliger Kontrollfreak – für mehr Sicherheit und Komfort. Wie der Dialog zwischen Mensch und Maschine abläuft, ist aber nur ein Aspekt, den
Zulieferfirmen auf der IAA (Publikumstage: 12. bis 22. September) in Frankfurt präsentieren.

Denn die Zulieferindustrie ist die große Unbekannte in der Autoproduktion, ihre Rolle steht selten im Fokus der Öffentlichkeit. „Die Zulieferer produzieren bildlich gesprochen die Legosteine, und der Autobauer setzt sie zusammen“, erklärt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. „Ohne Zulieferer wären unsere Autos undenkbar.“ Pauschal gesprochen steckten in jedem Auto mindestens genauso viel Entwicklungsarbeiten und Entwicklungskosten vom Zulieferer wie auch vom Autobauer.

Dennoch stehlen die Autobauer mit ihren fertigen Produkten den Zulieferern die Schau – gerade auf Messen, wo es auf Effekthascherei ankommt. Dabei ist die Technologie, die zum Beispiel Bosch, ein Riese der Branche, ins Auto holt, durchaus plastisch. Auf der Messe zeigt das Stuttgarter Unternehmen ein 3D-Cockpit. Dabei handelt es sich zwar nicht um ein Hologramm wie aus Star Wars, einen optischen Raumeffekt gibt es aber dennoch.

Im Bosch-Cockpit wölben sich Warnsignale scheinbar hervor und überlagern andere, die grafischen Gebirge im Display wirken greifbar. Spielefans kennen ähnliche Effekte von ihren Konsolen. Hier aber steht die Sicherheit im Fokus. „Wir möchten die relevanten Informationen hervorheben, die für die jeweilige Fahrsitua­tion wichtig sind. Warnhinweise zum Beispiel“, sagt eine Produktmanagerin. Das System und die dahinter stehende Technologie, die für Fondpassagiere auch den Genuss von 3D-Filmen verspricht, könnte 2021 Serienreife erlangen.

Ein anderes, in Frankfurt präsentiertes Bosch-System, das ein Jahr später im Auto ankommen könnte, filmt und scannt die Insassen. Erfasst werden Kopfhaltung, Blickrichtung, häufiges Blinzeln. Dies diene neben der Sicherheit dem Komfort, betont Bosch. Individuelle und gespeicherte Einstellungen, etwa der Sitze, könnten automatisch abgerufen werden. Auch dienten die gewonnenen Daten dazu, den Fahrer etwa bei Müdigkeit, Ablenkung oder Fehlbedienung verlässlicher zu warnen als bisher. Wenn etwa der Gurt eines Kindes aus der Führung gerutscht ist und am Hals verläuft – die Kameraaugen würden es sehen.

Für Dudenhöffer sind die Zulieferer „die Helden hinter dem Auto“, deren Bedeutung in Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung eher noch größer wird. „Bei Elektroautos etwa kann man sich das Batteriesystem nicht mehr ohne Zulieferer vorstellen“, sagt der Automobilwirtschaftler. Beim autonomen oder teilautonomem Fahren komme die Hardware – Sensoren, Kameras, Rechner-Chips – zu 100 Prozent vom Zulieferer. „Und bei der Software ist es genauso.“

Wie Mensch und Maschine sich in den kommenden Jahren in der Verantwortung abwechseln könnten, zeigt Continental anhand eines aufgeschnittenen Innenraum-Modells. Innen blickt man auf ein Display, das sich über die gesamte Fahrzeugbreite streckt. Fährt der Fahrer, zeigt es nur wichtige Infos an – etwa zu Tempo oder Wegführung. Für weniger Ablenkung erscheinen einige Bedienelemente erst bei Annäherung mit dem Finger.

Im autonomen Modus verdoppelt das Display seine Fläche fast – nun steht das Enter- statt Infotainment im Vordergrund: Videotelefonie, Musik, Filme schauen, und die Seitenscheiben verdunkeln sich automatisch. Für guten Sound hat Continental die Oberflächen im Auto als Resonanzkörper konzipiert.

Eine große Herausforderung beim automatisierten Fahren sind die zeitkritischen Übergabephasen – wenn also, zum Beispiel bei unzureichenden Umfelddaten, der menschliche Fahrer das Steuer möglichst schnell wieder übernehmen muss. Dieser Phase widmen sich in Frankfurt einige Zulieferer.

Hella und Faurecia inszenieren die Staffelübergabe mit Musik und Lichteffekten. Geht das Auto in den autonomen Modus, zieht sich das Lenkrad ins Armaturenbrett zurück, der Sitz rückt den Fahrer in eine bequeme Liegestellung nach hinten. Ruhige Musik- und Lichtimpulse begleiten den Übergang.

Bei Hella sollen Lichtwellen im Dachhimmel eine entspannende oder erfrischende Wirkung haben. Soll der Fahrer wieder übernehmen, wird die Musik aktiver. Eine Kamera schaut nach, ob er überhaupt die Augen geöffnet hat oder ob er vielleicht noch schlummert. „Falls nicht, werden die Aktionen intensiviert“, sagt ein Faurecia-Specher.

Am Stand von ZF wird ebenfalls erläutert, wie ein Auto lenkt, wenn es autonom unterwegs ist – ohne dass sich im Innenraum das Lenkrad drehen muss. Möglich macht es die Steer-by-Wire-Technik, die in Serienfahrzeugen schon seit einigen Jahren angekommen ist. Dabei gibt es keine mechanische Kopplung zwischen Lenkrad und Lenkung, erläutert ZF-Entwickler Uwe Class. So kann das System um manche gefährliche Situation herumlenken, obwohl der Lenkeinschlag ein anderer sein mag.

Wenn der Fahrer wieder an der Reihe ist, vibriert der Gurt, umlaufende Leisten feuern rote Lichtsalven ab. Wer selbst dann nicht ans Lenkrad greift, muss mit einem Zwangsstopp des Autos rechnen. Ob die auf der IAA gezeigte Konfiguration in Serie kommt, sei schwer zu sagen, heißt es bei ZF. Einzelaspekte würden aber Stück für Stück in den nächsten Jahren in Serienautos wieder auftauchen.

Bei aller möglichen Abgehobenheit der technischen Lösungen von morgen – auch die Bodenhaftung lassen die Entwicklungsabteilungen nicht außen vor. So wird am Reifen als High-Tech-Produkt weiter gefeilt. Der Luftdruck wird schon lange automatisch ermittelt, doch der „fühlende Reifen“ von Continental pumpt sich bei Bedarf selbst auf. Dazu arbeiten in der Felge untergebrachte Luftpumpen mit Zentrifugalkraft. Die Elektronik kann den Druck auch der jeweiligen Fahrsituation anpassen.

Außerdem erkennt Contis High-Tech-Pneu auch, wie abgefahren das Profil ist. Und er kann sogar online gehen, erläutert ein Sprecher: „Unser Ziel ist es, dass jeder Reifen im Internet ist.“ Der Reifendrucksensor gibt die Daten an das Fahrzeugsystem, und das sendet die Infos via Internet etwa an Flottenmanager von Miet- oder Carsharingautos.

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