Test: BMW S 1000R Für das Tier in dir

München · BMW hat mit der S 1000R ein extrem leichtes, leistungsstarkes und damit fahraktives Nakedbike entwickelt. Nicht selten gerät ihr Fahrer als Folge der technischen Überlegenheit in die Versuchung, die Möglichkeiten dieses Motorrads auszureizen. Manchmal ist es fast, als wecke die S 1000R das Tier in dir.

Die neue BMW S 1000R - für das Tier in dir
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Zuerst einmal ist BMWs neue S 1000R ein top-aktuelles Motorrad: Ihre technische Ausrüstung umfasst — teils serienmäßig, teils optional gegen Mehrpreis — praktisch alles, was findige Entwicklungsingenieure für das Jahr 2014 bereitstellen können. Dazu gehören mehrere Motormappings, eine dynamische Traktionskontrolle, ein semiaktives Fahrwerk, die Vernetzung dieser drei Systeme mit einem äußerst raffinierten, extrem leistungsfähigen ABS, eine Anti-Hopping-Kupplung und ein Schaltautomat. Das Vorhandensein dieser Fahrassistenzsysteme erweist sich immer dann als vorteilhaft, wenn die äußeren Umstände grob sind: Auf Straßen mit ohnehin wenig Grip bei Regen zum Beispiel. Dann können die elektronischen Helferlein auch für routinierte Fahrer segensreich sein.

Die S 1000R ist trotz ihrer 118 kW/160 PS bei nur 207 Kilogramm Gewicht ein absolut domestiziertes Motorrad. Sie geht im regulären Road-Fahrmodus angenehm weich, aber dennoch direkt ans Gas (beim auf 100 kW/136 PS limitierten "Rain"-Modus geht sie gar lammfromm ans Gas) und gibt sich bis etwa 7.000 Umdrehungen recht zurückhaltend. Bei dieser Drehzahl ändert sich alles: Die Arme des Fahrers werden schlagartig lang und länger, die Straße scheint sich im Zeitraffer zu verengen. Das Ganze ist noch eindrucksvoller, wenn man im Dynamik-Fahrprogramm unterwegs ist, denn dann werden die Signale der Gashand noch direkter umgesetzt. Die S 1000R fordert ihren Fahrer, aber sie überfordert ihn nicht, solange er halbwegs bei Sinnen ist.

Im Zweieinhalbwochen-Test über rund 3.300 Kilometer auf unterschiedlichstem Terrain — Autobahn, breite Überlandstraßen mit weiten Biegungen, kurvenreiche Landstraßen und winkelige Bergstraßen — überzeugt die S 1000R beinahe vollkommen. Beinahe deshalb, weil es in der Praxis eine Tortur darstellt, ein Höchsttempo von 200 km/h auf der unverkleideten Maschine länger als einige Sekunden zu halten. Das Höchsttempo von 258 km/h blieb für uns deshalb gänzlich unerreichbar. Ein Autobahn-Dauertempo von 160 bis 180 km/h ist drin — und wird trotz der nicht vorhandenen Verkleidung auch nicht mit maßlosem Benzinkonsum bestraft. Wenig über 7 Liter/100 km sind unter solchen Umständen absolut in Ordnung.

Überhaupt: Der Quotient aus Fahrfreude, Geschwindigkeit und Benzinverbrauch fällt bei der S 1000R ausgesprochen gut aus. Wer Drehzahlorgien vermeidet — angesichts der immensen Leistung auch für schnelles Vorwärtskommen überflüssig —, ist mit 5 Litern/100 km unterwegs; wer den Vierzylinder öfter jubeln lässt, braucht 6 Liter/100 km. 250 Kilometer am Stück sind also allemal drin im 17,5 Liter-Tank.

Weiter mögen nur Fakire ohne Pause fahren. Nicht, weil die S 1000R so anstrengend zu fahren wäre, sondern weil ihr Seriensitz den meisten Fahrern für sehr weite Distanzen nicht breit und komfortabel genug ist. Freilich ist diese Ultra-BMW kein Reisemotorrad, sondern ein überaus spritziges Ausflugsbike, durchaus passend auch für eine Mehrtages-Dolomitentour. Auf der steigt schon aus Sightseeinggründen jeder halbwegs vernünftige Mensch täglich mehrfach zur Pause ab. Überflüssig ist die Erörterung dieses Aspekts für jene, die sich für den optionalen Komfortsitz entscheiden.

Auf Tour gehen funktioniert auch deshalb gut, weil BMW mit dem speziellen Tankrucksack und der ebenso speziellen Hecktasche zwei ausgezeichnete Behältnisse geschneidert hat, die sowohl straff sitzen als auch reichlich Volumen bieten und dazu auch noch sehr leicht montierbar sind. Wasserdicht sind sie ohnehin. Dass die Hecktasche das Mitnehmen einer Sozia unmöglich macht, gehört zum Bereich Für- und Vorsorge in einer ernsthaften Beziehung; längeres Verweilen als bis zur nächsten Eisdiele oder Bahnstation ist nämlich nur einer weiblichen Minderheit möglich. Dazu muss man nämlich sehr schlank und zierlich sein, gleichzeitig aber ein gut gepolstertes Hinterteil aufweisen, weil das Sitzpölsterchen praktisch komfortfrei ausgefallen ist.

Das kann man vom Fahrwerk ganz und gar nicht sagen. Zumindest die von uns gefahrene Ausführung mit dem prächtig funktionierenden Dynamic-ESA (semiaktives Dämpfungssystem) ist unter so gut wie allen Umständen ein Garant für höchste Fahrfreude. Längsfugen und Verwerfungen auch bei nennenswerten Schräglagen werden total neutralisiert, selbst kantige Brücken-Querfugen mit Anstand passiert. Ein mustergültiges Fahrwerk, sehr einfach beherrschbar; das Dynamik-Paket ist seinen Aufpreis wert. Perfekt gelungen ist auch die brachiale Dreischeibenbremsanlage. Trotz ihres kurzen Radstandes ankert die S 1000R gewaltig; ein aufsteigen wollendes Heck wird vom sehr gut regelnden ABS bestens kontrolliert.

Vermutlich hätte BMW die S 1000R anders kalkuliert, hätte man bei der Markteinführung schon die Preise der Wettbewerbsmodelle gekannt. So kommt der potenzielle Kunde in eine höchst ungewöhnliche Situation: Mit 12.800 Euro (ohne die Ausstattungsschmankerl Dynamic-ESA, Schaltautomat, Zusatz-Fahrmappings, Griffheizung) ist ausgerechnet das laut diverser Vergleichstests in den Zweirad-Fachmagazinen beste Motorrad auch noch das günstigste. Und selbst mit Vollausstattung (plus 2.000 Euro) ist sie wirklich nicht teuer.

Zu warnen sind lediglich jene Fahrer, die charakterlich nicht gefestigt sind. Denn unterwegs schaltet die S 1000R fast von allein immer wieder auf Angriff, und wer diese Attacken nicht zu parieren versteht, wird schnell zum Tier. Das macht zwar Spaß, aber niemand weiß vorher, wie lange.

(SP-X)
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