Fahrbericht zur Eicma 2016 Brough Superior SS 100 - einzigartig und teuer

Toulouse · Brough Superior, eine exklusive Marke der 1920er und 1930er Jahre, lebt wieder auf. Und zwar mit jenem Modell, das der englischen Firma vor 80 Jahren einen legendären Ruf eingebracht hat, der SS 100. Sie wird auf der Eicma 2016 gezeigt.

Test: Brough Superior SS 100 - Rolls-Royce unter den Motorrädern
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Brough Superior SS 100 - Rolls-Royce unter den Motorrädern

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Foto: SP-X/fbn

Die zwei runden, verchromten Deckel auf dem langgestreckten Aluminiumtank sind exakt so angeordnet, wie sie es schon vor 80 Jahren beim Originalmodell der Brough Superior SS 100 waren (man spricht das "Braff").

Der breite, niedrige Tank ist oben schwarz lackiert, die Seiten sind aluminiumfarben. Dreimal findet sich der goldfarbene Schriftzug "Brough Superior" am Benzinreservoir, gerade so, wie das auch schon in den 1930er Jahren der Fall war. Und drei Leichtmetall-Haltebänder fixieren den Tank am darunterliegenden Rahmen; auch dieses Detail gab es schon damals.

Der Rahmen des Testmotorrads ist allerdings nicht wie einst aus Stahl, sondern aus Titan. Auch sonst ist an der im französischen Département Haute-Garonne zugelassenen Brough Superior des Baujahres 2015 viel Hightech geboten: Ein LED-Scheinwerfer vorne, LED am Heck und in den superkleinen Blinkern, eine Hossack-Gabel, feinste Öhlins-Ware für Federung und Dämpfung, dazu eine völlig neu entwickelte Vierscheiben-Bremsanlage von Beringer im geschmiedeten Leichtmetall-Vorderrad mit 18 Speichen.

62.900 Euro kostet die Brough Superior SS 100, deren Auslieferung noch im Dezember beginnen wird. Jetzt schnell den Finger zu heben, nützt nichts: Die Exemplare, die in diesem Jahr noch gebaut werden, sind nämlich allesamt bereits vergeben.

Es fühlt sich anders an, dieses inzwischen ganz schön hergenommene Vorserienexemplar der Brough Superior SS 100 zu besteigen als irgendein anderes klassisch anmutendes Bike. Denn die anderen zitieren nur in Details ihre Abstammung. Die SS 100 gibt sich würdig durch und durch, obwohl sie seit 2013 völlig neu konstruiert worden ist.

Denn ihre Linienführung ist klassischer als die jedes anderen Motorrads, die Royal Enfields eingeschlossen. Und sie strahlt eine Wertigkeit, ja Exklusivität aus, die sie einzigartig macht.

Nein, hart anfassen will ich "The Mule" nicht. So nennen die Erbauer das Motorrad, das ich über südfranzösische Landstraßen und durch den Toulouser Stadtverkehr fahren darf. Das "Maultier", gebaut im Juni 2015, ist der älteste Prototyp, den die Firma nutzt, um auf ihm Kilometer anzuhäufen.

997 Kubikzentimeter Hubraum, 88 Grad Zylinderwinkel, vier Ventile und zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder, elektronische Einspritzung, 100 PS — der wassergekühlte Motor läuft fein, nimmt sauber das Gas an. Blitzschnell dreht er hoch bis an die 10.000/min., wirkt aber auch in der Mitte nicht schwächlich.

Ultrahandlich ist die SS 100 nicht, dem steht schon der Radstand von 1,54 Metern entgegen. Dafür umrundet sie Kurven auch in höherer Schräglage ausgesprochen stabil, federt und dämpft souverän. Ein zeitgemäßes Fahrverhalten.

Aber was steckt hinter diesem Motorrad, das sich ja niemand kauft, nur weil er genügend Geld dafür hat? Es ist die Idee des Engländers Mark Upham, der ein Faible für die 1940 vom Markt verschwundene Marke hat.

Er sucht sich die Markenrechte zusammen und findet zudem die in Toulouse beheimatete Firma Boxer Design. Sie ist trotz der gerade mal ein Dutzend Mitarbeiter eine verlässliche Größe in der Entwicklung von Prototypen. Verschiedene bekannte Motorradhersteller wissen das zu schätzen.

Thierry Henriette heißt der Chef, Albert Castaigne ist sein Vertrauter. In Abstimmung mit Upham gründen sie die Firma Brough Superior SAS, an der Castaigne ein paar Anteile hat, die große Mehrheit liegt bei Henriette. Upham wird für jedes verkaufte Motorrad eine Provision erhalten.

Das Projekt startete im Sommer 2013. Auf einem weißen Blatt Papier wurde die SS 100 konzipiert — und sofort ein Prototyp gebaut. Im November desselben Jahres wurde das Bike auf der Mailänder Eicma vorgestellt und fand beachtliche Resonanz.

Die Männer von Akira, einem renommierten Triebwerks-Entwickler im südwestfranzösischen Bayonne, nahmen sich der Motorenfrage an. Natürlich gab die Brough-Historie einen V2 vor. Den ersten gelieferten Motor machten die Südfranzosen alle 5000 Kilometer auf, "mit banger Erwartung", so Castaigne. Sie machten ihn immer wieder zu und fuhren — problemlos — weiter.

Inzwischen wurde die Motorenherstellung am Boxer Design-Firmensitz angesiedelt; ein großer Raum im ersten Obergeschoss wurde dafür ausersehen. Im Erdgeschoss sind Fahrzeug-Montageplätze; an ihnen werden zudem weitere Vorserienbikes aufgerüstet, denn es gilt, sich auf die Euro-4-Zukunft sowie auf weitere denkbare Varianten vorzubereiten.

Die Montage der ersten Kundenfahrzeuge beginnt in diesen Tagen, nur noch 20, vielleicht 30 Stück können bis zum Jahreswechsel hergestellt werden. Die Homologation (nach Euro 3) ist abgeschlossen. Auch die für 2017 geplanten 240 Motorräder werden noch mit Euro-3-Homologation ausgeliefert; die "Kleinserien-Ausnahme" macht dies möglich. Ab 2018 müssen dann auch die Brough-Modelle den Anforderungen der Euro-4-Norm entsprechen, also unter anderem ein ABS aufweisen.

Kann die Wiederauferstehung einer — noch dazu schwierig auszusprechenden — Marke gelingen, die schon vor 76 Jahren vom Markt verschwunden ist? Münch, aber auch Horex sind Beispiele dafür, dass auch weit kürzere Nichtexistenz-Phasen schon zu lang sein können, um nahtlos an einstmals ruhmreiche Zeiten anschließen zu können.

Im Fall von Brough Superior sind die Umstände relativ günstig: Erstens steht Boxer Design für sehr solide Entwicklungsarbeit, zweitens hat man sich an ein unvergleichliches Modell gewagt, das bei Kennern einen exzellenten Ruf hat — historische Fahrzeuge werden deutlich im sechsstelligen Euro-Bereich gehandelt.

Und zudem kann Boxer Design das Projekt "Brough Superior" finanziell selber stemmen, benötigt also keinen Investor, der schnell einen "Return on Investment" sehen will. Zudem zeigt das bisherige, von Geschäftsführer Albert Castaigne als "sehr positiv" dargestellte Interesse an der SS 100, dass man mit einer länger andauernden Nachfrage rechnen dürfe.

Bleibt für manchen sicherlich das Problem der Investitionshöhe. 62.900 Euro — ohne Sonderwünsche — sind selbst dann viel Geld, wenn man davon ausgehen darf, dass der Wertverlust gering sein könnte.

Motor: Flüssigkeitsgekühlter 88°-V2-Viertaktmotor, dohc, 4 Ventile/Zylinder, Bohrung x Hub 94 x 71,8 mm, Hubraum 997 ccm, Leistung 73 kW/100 PS bei 9.800/min, Drehmoment 89 Nm bei 7.450/min, 6 Gang-Getriebe, Kette.

Fahrwerk: Geschmiedeter Titan-Hauptrahmen mit Titan-Hilfsrahmen, Motor mittragend; Vorderradführung Typ Hossack/Fior aus Aluminiumguss, Öhlins-Zentralfederbein, Vorspannung und Zugstufe einstellbar, 12 cm Federweg; am Kurbelgehäuse befestigte Aluminiumguss-Zweiarmschwinge, Öhlins-Zentralfederbein, Vorspannung und Zugstufe einstellbar, 13 cm Federweg. Vorne 4 Beringer 4D Stahlbremsscheiben, Ø 23 cm, mit doppelten Vierkolben-Radial-Bremszangen (Beringer), hinten 1 Beringer 4D Stahlbremsscheibe, Ø 23 cm, eine Zweikolben-Bremszange (Beringer); geschmiedete Aluminiumräder 3,5x18 (vorne) bzw. 4.25x18 (hinten); Reifen 120/70-ZR-18 (vorne) bzw. 160/60-18 (hinten).

Maße und Gewichte: Radstand 1,540 m, Lenkkopfwinkel 23,4°, Nachlauf 0,94 cm, Sitzhöhe 81 cm, Trockengewicht 186 kg, Gewichtsverteilung 50:50.

Preis: ab 62.900 Euro inkl. MwSt.

(SP-X)
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