Erlebnisbericht mit dem E-Bike Stromern auf zwei Rädern

Düssseldorf · Die Zahl der verkauften E-Bikes wächst von Jahr zu Jahr. Auch der Autor hat sich eines zugelegt. Der Spaßfaktor ist enorm. Aber taugen die elektrifizierten Räder als Alternative zum Pkw in der Innenstadt? Immerhin ist NRW dabei, ein Radgesetz auf den Weg zu bringen.

 Unser Autor und sein E-Bike.

Unser Autor und sein E-Bike.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Für die Entscheidung, mir ein E-Bike zuzulegen, musste ich genau einmal in die Pedale treten. Das Rad stürmte los, als seien meine Waden Tour-de-France-gestählt, oder als würde ein blinder Passagier beherzt anschieben. Beides überzeugende Verkaufsargumente, zumal für einen Bewohner einer Stadt im Bergischen, deren Topographie nicht dazu geschaffen ist, sie allein mit Muskelkraft zu bewältigen. Das funktionierte schon in jüngeren, deutlich sportlicheren Jahren eher unbefriedigend. Erst der Zusatzschub aus der Steckdose ließ, im zugegeben etwas fortgeschrittenen Alter, die Liebe zum Zweirad neu entflammen. Allerdings nicht nur bei mir. Stand 2020 doch nicht allein im Zeichen von Corona, sondern auch eines bislang beispiellosen Fahrrad-Booms. Vorbote einer Verkehrswende im Stillen?

Gut möglich. Bereits seit Jahren wächst die Zahl verkaufter E-Bikes, 2019 wurden laut Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) rund 1,36 Millionen elektrisch unterstützte Räder abgesetzt, ein Plus zum Vorjahr von rund 39 Prozent. Laut Statistischem Bundesamt besitzen mittlerweile rund 4,3 Millionen Haushalte mindestens ein E-Bike, Anfang 2015 waren es noch 1,5 Millionen Haushalte. Der Anteil am Gesamtfahrradmarkt beträgt jetzt schon etwa 31,5 Prozent, denkbar sind mittelfristig 40 bis 50 Prozent.

Höchstwahrscheinlich ist der E-Bike-Anteil im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Noch liegen zwar keine genauen Zahlen vor, aber Händler berichten fast unisono von leergekauften Lagern und Herstellern, die Probleme haben, die hohe Nachfrage zu befriedigen. 2020, heißt es, sei das erste Jahr in der Branche ohne saisonalen Effekt gewesen. Gekauft wurde über alle Monate hinweg. Und 2021 könnte das Ergebnis noch übertreffen: Hersteller melden Rekordordern von Privatleuten, auch die Händler haben 30 Prozent mehr E-Bikes bestellt als im Vorjahr. Und dennoch haben sie die Sorge, dass es nicht reichen könnte.

Wohl dem, der rechtzeitig zugegriffen hat. Mein City-Bike wurde im September geliefert, früh genug, um an Spätsommertagen zu üben, den ungewohnten Vortrieb zu beherrschen. Was erstaunlich einfach ist. Anderes ist überraschender. Wer nach rund 40 Jahren - von gelegentlichen Urlaubs-Ausnahmen abgesehen - wieder aufs Rad steigt, erlebt die heimische Umgebung völlig neu. Plötzlich werden bis dato unbegangene Wege erschlossen, idyllische Fleckchen entdeckt, bislang links liegen gelassene Örtchen neu bewertet. Kurz gesagt: Der Radius bewusster Wahrnehmung wird erweitert.

Das funktioniert freilich auch mit einem normalen Rad, mit dem E-Bike aber lässt sich die Erkundungszone erstens weiter fassen, und es macht zweitens gerade in hügeligem Gelände auch für Untrainierte deutlich mehr Spaß. Wer einmal mit elektrischem Rückenwind bergauf geradelt ist, möchte dieses Gefühl nicht mehr missen. Der Suchtfaktor ist hoch, und ansteckend ist der Trend noch dazu: Auch die Nachbarn haben sich ein E-Lastenrad zugelegt, mit dem sie ihre Kinder kutschieren. Das so teuer ist wie ein gebrauchter Kleinwagen. Aber eben sauber und klimaneutral. Oder?

Ganz so einfach ist die Rechnung allerdings nicht. Denn wie ein Elektroauto braucht auch ein E-Bike Akkus, für deren Herstellung wiederum Rohstoffe wie Lithium benötigt werden, deren Abbau Umweltschäden verursacht. Zudem ist der verwendete Strom hierzulande in den seltensten Fällen grün, sondern mit Kohle erzeugt. Sowohl bei der Produktion als auch während des Betriebs der E-Bikes fällt also CO2 an - allerdings deutlich weniger als bei einem E-Auto. Würde also beispielsweise das klassisch mit Benzin betriebene Auto morgens stehen gelassen und das E-Bike für den Weg zur Arbeit genutzt, wäre das ein deutlicher Gewinn fürs Klima und eine nachhaltige Mobilität. Die Denkfabrik „Fisch im Wasser“ wollte das genauer wissen. Vergangenes Jahr hat sie gemeinsam mit der Krankenkasse Viactiv und dem Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln untersucht, welche Motive die Käufer von E-Bikes antreiben und wie sie ihr Rad nutzen.

Demnach wird das E-Bike eher als zusätzliches Verkehrsmittel betrachtet, das vor allem Spaß bringen soll. Im Alltag steht es nicht in Konkurrenz zum Auto, sondern ist eine Ergänzung. Das heißt, das Pendeln zur Arbeit und die Fahrt zum Supermarkt wird weiterhin meistens mit dem Wagen erledigt. Allerdings ist es für knapp 50 Prozent auch ein Kriterium, dass das Elektrorad eine gewisse Unabhängigkeit vom öffentlichen Nahverkehr ermöglicht. Hauptmotive für eine Anschaffung aber sind neben dem Spaß gesundheitliche Gründe und die Möglichkeit, damit die Natur intensiver zu erleben. Dazu passt, dass die meisten E-Bike-Nutzer bei Ausflügen mit ihrem Rad mehr als eine Stunde unterwegs sind und mehr als 25 Kilometer zurücklegen.

Die Studie spiegelt auch die hauptsächlichen Käufergruppen wider - in der Mehrheit sind es Menschen ab 60 Jahren, die ihre Liebe zum Rad wiederentdecken, dem Strom sei Dank. In den Altersgruppen darunter nimmt die Affinität etwas ab, bei den Jüngeren allerdings wird das E-Bike wieder als nachhaltiges und vergleichsweise erschwingliches Fortbewegungsmittel attraktiver. Heißt: Das E-Bike hat durchaus das Potenzial, eine wichtige Rolle in der Verkehrswende zu spielen, gerade im städtischen Raum, wird aber noch bevorzugt als Spaßmobil von denjenigen genutzt, für die Radfahren aus Alters- oder Bequemlichkeitsgründen nicht mehr in Frage kam.

Tatsächlich ist das Fahrrad auch für mich mehr Freizeitvergnügen als Autoersatz, zumal sich die rund 50 Kilometer bis zum Arbeitsplatz in Düsseldorf auch mit einem E-Bike ziehen würden. Aber erstens würde ich für innerstädtische Fahrten auf das Auto verzichten, weil ich nun weiß, dass ich mit dem Rad ähnlich bequem und fast genauso schnell unterwegs sein kann. Zweitens bleibt das Auto an allen Tagen stehen, an denen mit dem Fahrrad die Gegend erkundet wird, auch das ist ein Gewinn für die Umwelt. Hier gilt es für den Gesetzgeber und die Städte anzusetzen. Schon jetzt haben manche Kommunen Förderprogramme angeschoben, um die E-Mobilität auch im Fahrradbereich zu fördern. Meist geht es dabei wie auf Bundesebene aber nur um Lasten-E-Bikes. Weitere Anreize würden potenzielle Umsteiger aufs Fahrrad möglicherweise ermutigen.

Genauso wie ein flächendeckender Ausbau der Infrastruktur. Immerhin will NRW als erstes Flächenland ein Radgesetz auf den Weg bringen, Berlin ist bisher Vorreiter. Geschuldet ist dies unter anderem auch dem anhaltenden Boom der E-Bikes, die das Fahrrad im täglichen Pendlerbetrieb konkurrenzfähiger machen. Auf die Fahnen geschrieben hat sich die Landesregierung, den Anteil des Radverkehrs von derzeit acht auf 25 Prozent zu erhöhen. In welchem Zeitraum dies gelingen soll, ist noch unklar. Laut der „Volksinitiative Aufbruch Fahrrad“ sei eine Umsetzung bis 2025 durchaus machbar.

Bislang hält der Ausbau der Rad-Infrastruktur allerdings keineswegs Schritt mit der Nachfrage nach Zweirädern: Von den insgesamt 270 Kilometern Radschnellwege, die in NRW geplant sind, wurden in den vergangenen zehn Jahren gerade mal sechs Kilometer realisiert. Denkbar, dass sich durch den anhaltenden Boom der E-Bikes der Druck auf die Politik erhöht, endlich Fakten zu schaffen. Brauchen die Heerscharen der neuen Pedaleros doch auch den Raum, um ihre Akkus leer zu fahren. Corona hin oder her, spätestens im Frühling wird wieder über Radwege und Trassen gestromert.

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