Elektroauto mit 109 PS So fährt sich der Nissan Leaf

Köln · Er ist der beste Beweis dafür, dass Elektrofahrzeuge nicht klein und unkomfortabel sein müssen. Der Nissan Leaf ist ein geräumiges, solides und erschwingliches Stadtauto. Eine Grundangst der E-Mobilität konnte uns der in England gebaute Japaner allerdings nicht nehmen.

Elektroauto: Das ist der Nissan Leaf
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Zu teuer und zu unpraktisch - Elektroautos stecken (noch) in einer Nische. Wenn die Stromer die Herzen der Menschen erobern wollen, müssen sie zuerst deren Ängste besiegen. Unser Vertrauen schenken wir dem Leaf und bitten Nissans Hoffnungsträger mit Hochspannung zum Praxistest.

Gut, eine Schönheit ist der japanische Kompakte nicht gerade. Die Fahrzeugfront mit der tief abfallenden Haube und den etwas glubschigen Scheinwerfern trifft den europäischen Geschmack nicht unbedingt. Überzeugend sind jedoch die inneren Werte. Im Gegensatz zu Elektrozwergen wie dem Smart ED oder dem Peugeot iOn ist der Leaf ein vollwertiger Kompaktwagen. Das bekommen vor allem die Passagiere zu spüren: Auf jedem Sitz lässt es sich sehr gut aushalten. Der Kofferraum bietet mit mindestens 370 Litern ein akzeptables Grundvolumen.

Das Interieur ist bis auf das viele Hartplastik ansprechend und leicht futuristisch gestaltet. Ganz ohne Rundinstrumente kommt das blau gehaltene Cockpit aus. Neben der Reichweite befindet sich die Temperaturanzeige der Batterie sowie ein "Powermeter" im Display, das nach rechts oder links ausschlägt, je nachdem ob und wie viel Gas man gibt oder ob gerade Bremsenergie zurückgewonnen wird.

Hohe Beschleunigung aus dem Stand

Wer Elektrofahrzeuge für langweilig hält, wird gleich beim Ampelstart eines besseren belehrt. 80 kW/109 PS lassen einen zunächst ja nicht vor Ehrfurcht erstarren. Doch das maximale Drehmoment muss ja nicht erst wie bei einem Verbrennungsmotor aufgebaut werden, sondern ist von der ersten Umdrehung des E-Motors da. So zieht man zumindest im Stadtverkehr an der Ampel zunächst davon, während Lenker sportiverer Fahrzeuge noch die Gänge sortieren. Das Fahren mit dem Fünftürer bereitet Freude und nur das leise Summen des E-Motors und die Windgeräusche verraten die Art der Fortbewegung.

Erstes Stirnrunzeln ruft jedoch der Blick auf den Ladezustand der Batterie hervor. Auf einer Strecke von 20 Kilometern verbraucht der Leaf — so ist es zumindest auf dem Display abzulesen - Strom für fast 38 Kilometer. Etwas bang fragt man sich, ob man es mit diesem Verbrauch überhaupt nach Hause schafft.

Tatsächlich steigt die Reichweite nach einigen Kilometern wieder an. Und das hat einen plausiblen Grund: Der Bordcomputer entwickelt aus allen vergangenen Fahrten eine realistische Gesamtreichweite. Führt der Weg zur Arbeit also längere Zeit über die Autobahn, kann es sein, dass das Display den Fahrer bei vollgeladenen Akkus lediglich mit 140 Kilometern Reichweite begrüßt. Obwohl der Hersteller beim Leaf der zweiten Generation knapp 200 Kilometer verspricht.

Nach der anfänglichen Euphorie weckt uns also unsanft der Alltag und das liegt beileibe nicht nur am Leaf selbst. Die Anzeige bleibt zwar weiterhin ungenau und nicht immer nachvollziehbar. Die Fahrten werden vom unruhigen Blick auf die Restreichweite geprägt. Obwohl der Leaf ein wenig Energie beim Bremsen zurückgewinnt.

Ladestationen sind schwer zu finden

Bittet man aber das Navi um Hilfe, wird man enttäuscht. Obwohl es beispielsweise in Köln zumindest einige Lademöglichkeiten gibt, findet das Navi sie entweder nicht oder kann das Auto nicht hinführen, weil das Ziel "zu nah an unserer aktuellen Position" liegt. Versucht man es auf eigene Faust, ist Durchhaltevermögen gefragt. Steht man endlich vor einer Lademöglichkeit, ist diese entweder von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zugeparkt oder nicht nutzbar, da vorher ein Vertrag mit dem passenden Energieversorger im Internet abgeschlossen werden muss.

Der Spaß am Fahrzeug weicht also der ständigen Sorge ums "tanken". Berechtigterweise, denn selbst, wenn man eine Ladesäule gefunden und das Auto angeschlossen hat: In einigen Fällen tankte es gar nicht oder nur kurzzeitig Strom. So verbrachten wir Stunden mit der "Wache" vor dem Fahrzeug. Alles besser, als am nächsten Morgen nicht wegzukommen.

Nach einer solchen verschenkten Nacht ohne Nachtanken müssen Radio und Klimaanlage am nächsten Morgen sicherheitshalber aus bleiben. Dafür ist der sparsamere Eco-Modus mit eingeschränkten Fahrleistungen ständig an.

Ständige Angst vorm Liegenbleiben

Nicht nur für Verwirrung, sondern für regelrechte Schweißausbrüche sorgt auch immer wieder die Anzeige. So ging sie bei einer Restreichweite von 30 Kilometern einmal sogar einfach aus und ließ den Fahrer mit der Urangst des Liegenbleibens allein. Auf der Landstraße mit leeren Batterien zu stranden, ohne die Möglichkeit, an der nächsten Tankstelle einen Fünfliter-Kanister zu kaufen und nachzufüllen, diese Horrorvorstellung prägte einen nicht geringen Teil der Fahrten.

Aber nach der holprigen Eingewöhnungsphase wird man routinierter. Wie die meisten Stadtbewohner können wir nicht vor der eigenen Tür laden, deswegen sind Parkplatzkarten, Codes für die Ladesäule, spezielle Apps sowie Verträge bei unterschiedlichen Stromanbietern bald eingespeichert und griffbereit. Mit diesen lassen sich die Batterien des Leaf über Ladesäulen oder den Schnellademodus wieder auffüllen. Nur gibt es in Köln leider keine einzige Schnellademöglichkeit, wo man innerhalb 30 Minuten wieder wie versprochen die Batterien wieder zu 80 Prozent füllen kann. Weder Eon noch RWE bieten so etwas an. Kleinere Anbieter erst recht nicht. Und der Bundesverband für E-Mobilität ist auf Nachfragen zu möglichen Schnelladestationen "auf die Schnelle überfragt".

Gemischte Bilanz

Die Bilanz für den Leaf fällt deswegen gemischt aus. Bereitet das Fahren selbst zumindest mit voller Batterie richtig viel Freude, hält der Japaner für "Säulentanker" doch noch zu viele Hindernisse bereit. Mit den aktuellen technischen Gegebenheiten in Köln ist selbst ein solides Fahrzeug wie der Leaf nicht massentauglich, sondern nur etwas für Menschen mit eigener Garage inklusive Stromanschluss. Was schade ist, zeigen sich doch alle Beifahrer vom Leaf stets positiv überrascht und nach wenigen Minuten tiefenentspannt. Aber sie mussten ja auch nicht ständig die Reichweitenanzeige im Blick behalten.

(sgo)
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