Elektronische Hilfen für Biker

Was in Autos längst Standard ist, setzt sich bei Motorrädern nur langsam durch. Umfelderkennung ist ein großes Thema.

Manchmal hilft nur eine Vollbremsung. Auf dem Motorrad den Bremshebel voll nach hinten zu ziehen - womöglich noch in Schräglage - ist eine Mutprobe. Ein Antiblockiersystem (ABS) funktioniert aber nur, wenn der Bremshebel maximal angezogen wird. "Die allerwenigsten Motorradfahrer wissen und trauen sich das", sagt Achim Kuschefski, Leiter des Instituts für Zweiradsicherheit in Essen. Ab 2017 müssen alle neuen Motorräder mit einem ABS ausgerüstet sein. Die meisten Hersteller bieten es schon an - auch andere Sicherheitssysteme werden zunehmend verbaut. In den kommenden Jahren folgen weitere elektronische Helfer, die Motorradfahren sicherer machen sollen.

ABS, Integral-Bremssystem, Traktionskontrolle sowie Wheelie- und Stoppie-Kontrolle haben die meisten Motorradhersteller bereits im Programm. Oder Motor-Mapping, das das Fahren unter Wettereinflüssen oder auf der Rennstrecke einfacher macht, indem die Motorleistung angepasst wird. Seit dem vergangenen Jahr gibt es zudem ein kurventaugliches ABS. Bedingung dafür war ein feinfühliger Schräglagensensor, den Bosch gemeinsam mit KTM entwickelt hat. Immer häufiger sind Motorräder auch mit Semi-Aktiven-Fahrwerken ausgestattet. Bei starkem Bremsen oder Beschleunigen stellt die Dämpfung auf hart: Das Motorrad taucht beim Bremsen weder vorne stark ein, noch stellt es sich hinten auf. Und auch bei starkem Beschleunigen bleibt das Fahrwerk in Balance.

Andere elektronische Helfer, die im Auto längst zum Standard gehören, sind bei Motorrädern absolute Ausnahme, auch wegen baulicher Unterschiede. Die Honda Goldwing zum Beispiel ist derzeit das einzige Motorrad, das mit einem Airbag ausgerüstet ist. Allerdings gibt es Airbagwesten. Die wirken direkt am Körper und können Verletzungen verhindern oder zumindest mildern. Stürzt der Pilot, blasen sich die Luftkammern in Millisekunden auf. Aktiviert werden die Airbagwesten entweder per Reißleine oder drahtlos über Sensoren am Motorrad.

"Was uns künftig interessiert und woran die Hersteller arbeiten, ist, die Anzahl der Kollisionen zwischen Motorrad und Pkw zu verringern", sagt Experte Kuschefski. Ausgangspunkt für mehr Sicherheit beim Motorradfahren ist die Unfallstatistik. Laut ADAC-Unfallforschung verunglücken Motorradfahrer aus zweierlei Gründen zu etwa gleichen Anteilen: Bei Unfällen, bei denen die Kontrolle über das Motorrad verloren geht. Dieser Kontrollverlust resultiert häufig aus einer falschen Bremsnutzung. Und bei Kollisionen mit anderen Fahrzeugen. Davor schützen zunehmend Assistenzsysteme - sofern sie die Biker akzeptieren.

"Motorradfahrer muss man eher als Autofahrer überzeugen, dass Sicherheitssysteme sie nicht einschränken", sagt Welf Stankowitz, Referatsleiter Fahrzeugtechnik im Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). "Die Initiativen für Sicherheitssysteme kommen von den Motorradherstellern - BMW ist hier sicher führend, weil dahinter der Automobilkonzern steht." Auf Anfrage teilen zum Beispiel Yamaha und Triumph nur mit, an neuen Fahrerassistenzsystemen zu arbeiten. Welche das sind, wollten beide nicht sagen.

BMW schon. "Wir testen unterschiedliche kooperative Assistenzsysteme", sagt Felix Deissinger, zuständig für Motorradsicherheit bei BMW Motorrad. Kooperative Systeme reagieren auf Informationen durch Vernetzung - etwa zwischen Fahrzeugen oder Fahrzeugen und der Infrastruktur, beispielsweise Ampeln. Die europäische Motorradindustrie hat im Herbst 2014 eine neue Sicherheitsstrategie verabschiedet, in der sich die Branche verpflichtet, bis 2020 wenigstens ein kooperatives Sicherheitssystem in einem ihrer Modelle anzubieten.

"Erste Fahrerassistenzsysteme mit Umfelderkennung werden 2017/2018 auf den Markt kommen", erwartet Deissinger. Der Tote-Winkel-Assistent werde den Anfang machen. Am Motorroller C 650 hat BMW diesen und andere technische Helfer getestet. Eine Kamera an dem Roller kann Verkehrsschilder lesen, gibt Geschwindigkeitsbegrenzungen an den Fahrer weiter, aber auch Auffahrwarnungen, wenn sich das Fahrzeug einem Hindernis nähert. Optisch gewarnt werden kann der Motorradfahrer über ein Head-up-Display am Fahrzeug oder im Helm.

Die Varianz der Warnmöglichkeiten auf dem Motorrad sind im Vergleich zum Auto geringer. "Bestimmte Kanäle bleiben konzeptbedingt verschlossen", sagt Deissinger. Einen akustischen Warnton zu übertragen, ist schwierig. Der muss unter dem Helm ankommen, aber dort stören Windgeräusche. Auch haptische Warnhinweise, wie sie aus dem Auto bekannt sind - etwa Vibrationen beim Spurwechsel - sind auf Motorräder nicht übertragbar. Vibrationen müssten schon richtige Schüttler sein, um durch Handschuhe zu dringen.

(RP)
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