Das Fahrtraining beginnt im Kopf

Eigentlich müssten regelmäßige Sicherheitstrainings gerade für Motorradfahrer Pflicht sein. Zumal sie ganz nebenbei auch noch Spaß machen.

Bernd Schwarz stellt sein Licht gerne unter den Scheffel. "Ich bin heute die Aushilfe. Eigentlich bin ich Lkw-Trainer", eröffnet er den Motorrad-Kursus.

Die 13 Teilnehmer im Seminarraum des ADAC-Fahrsicherheitszentrums (FSZ) Grevenbroich werfen sich irritierte Blicke zu. Immerhin sind Felix, Daniel, Dieter und Burkhard, die neben mir die Schulbank drücken, selbst Fahrlehrer. Trotzdem wollen auch sie heute lernen, wie man auf dem Motorrad sicher um die Kurve kommt. Aber von einem Lkw-Trainer?

Schwarz registriert unsere Skepsis genau. Er lässt sie souverän im Raum stehen und stellt gleich eine Frage dazu: "Wann habt Ihr denn das letzte Mal den Luftdruck geprüft?" Gudrun fährt Harley. Sie gibt zu: "Weiß ich nicht. Macht immer mein Mann." Der sitzt daneben und drückt ein langgezogenes "Joooaaah . . ." hinter seinem Kinnbart hervor.

Bernd erteilt uns Lektion Nummer eins: "Alle zwei Wochen muss man das machen." Weil Motorradreifen anders als Autoreifen auch seitlich gewölbt sind, liegt ein Motorrad nur mit der Kontaktfläche von zwei Scheckkarten auf der Straße. Dieser Latsch muss alles halten: Seitenführung, Beschleunigung und Bremskraft. "Da könnt ihr Euch keine Fehler erlauben", sagt Bernd.

Eine halbe Stunde später rollen wir über die asphaltierte Trainingsfläche. Bernd stellt sich auf die Fußrasten und legt das rechte Bein hinter sich auf die Sitzbank. "Versucht das mal. Die Harley-Fahrer mit ihren vorverlegten Fußrasten natürlich nicht", krächzt seine Stimme per Funk durch einen kleinen Stöpsel in meinen Helm. Wie bitte?

Ich umklammere den Lenker und turne wie gewünscht auf meiner BMW herum. Es geht. Aber angenehm ist das nicht. Das Bike schlingert. Jedes Zucken meines Körpers überträgt sich sofort auf Lenker und Gasgriff, was mein Boxer mit unzufriedenem Ruckeln quittiert.

Vorturner Bernd sieht das. "Arme nicht durchdrücken. Ellenbogen nach unten. Locker bleiben", weist er mich an. Und ich merke, dass ich gerade Lektion zwei erhalte: Weil Motorräder viel sensibler als Autos jede noch so kleine Bewegung des Fahrers aufnehmen, muss sich selbst beherrschen, wer ein Motorrad beherrschen will. Wie wichtig diese Körperbeherrschung ist, sehen wir bei Übung zwei. Bernd baut aus rot-weißen Hütchen eine 50 Meter lange Fahrgasse. In der Mitte legt er zwei Pylone quer. "Das ist der Lieferwagen, der unerwartet aus einer Einfahrt prescht", sagt Bernd. Er fährt mit Tempo 50 auf den fiktiven Lieferwagen zu, drückt das Motorrad im letzten Moment nach links und kurz danach wieder zurück in die Spur. Als wir es nachmachen wollen, purzeln die Pylone - immer wieder streifen unsere Motorräder das Hindernis. "Guckt mal genau auf meinen Helm", sagt Bernd, und fährt die Übung erneut vor. Tatsächlich: Noch bevor er das Ausweichmanöver einleitet, dreht er den Kopf nach links in Ausweich-Richtung und dann wieder nach rechts. "Dahin, wo ihr guckt, fahrt ihr auch", erklärt er den Trick mit dem Blick: "Wenn Ihr in einer solchen Situation mit den Augen auf dem Hindernis bleibt, fahrt ihr rein. Garantiert."

Wie wichtig die richtige Blickführung ist, lernen wir anschließend im Kurven-Parcours. Es sind nur zwei Kehren, die sich im Oval um einen Hügel schlängeln. Oben steht Bernd und beobachtet uns. "Arme locker. So weit wie möglich in die Kurve gucken!"

Es kostet mich Überwindung, den Blick von der Fahrspur zu lösen und immer weiter durch die Kurve schweifen zu lassen. Das fühlt sich nach Kontrollverlust an. Bei der gefühlt siebzehnten Runde steht Bernd ganz hinten am Fahrbahnrand und ruft mir per Funk zu: "Thomas, guck mich an und fahr dabei weiter!" So langsam begreife ich es. Das Motorrad folgt tatsächlich dem Blick. Die Augen lösen sich gar nicht von der Fahrspur, sondern geben die Fahrspur vor.

Vollbremsung, Schritt fahren und Kurvenbremsung: Wir absolvieren noch ein Dutzend Übungen an diesem Tag. Sie alle schärfen das Gefühl für die Fahrphysik, für das filigrane Konzert, das Körper und Maschine beim Motorradfahren aufführen. Aber dieses Gefühl ist zerbrechlich. Wer nicht permanent übt, verliert es.

Das ständige Üben im Alltag kann ein ADAC-Training nicht ersetzten. Aber es ist eine gute Methode, es zu entdecken.

(tor)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort