Studie Jeder zehnte Deutsche leidet unter Arbeitssucht

Düsseldorf · Langes und schnelles Arbeiten, keine Entspannung in der Freizeit, das gleichzeitige Arbeiten an vielen Projekten - arbeitssüchtiges Verhalten ist in deutschen Betrieben anscheinend längst kein Randphänomen mehr. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland ein arbeitssüchtiges Verhalten.

 Kein Ende in Sicht: Suchthaftes Arbeiten ist kein Randphänomen, das nur eine kleine Gruppe von Führungskräften betrifft.

Kein Ende in Sicht: Suchthaftes Arbeiten ist kein Randphänomen, das nur eine kleine Gruppe von Führungskräften betrifft.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Für die von der Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung hatten Mitarbeiter des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig die repräsentativen Daten von 8.000 Erwerbstätigen ausgewertet. Die Daten stammen aus den Jahren 2017 und 2018 - also der Zeit vor Corona. Laut der Studie arbeiteten 9,8 Prozent der befragten Erwerbstätigen suchthaft. Weitere 33 Prozent arbeiteten exzessiv - aber nicht zwanghaft. 54,9 Prozent der Erwerbstätigen gingen der Beschäftigung dagegen „gelassen“ nach.

Suchthaftes Arbeiten ist demnach kein Randphänomen, das nur eine kleine Gruppe von Führungskräften betrifft. Tatsächlich seien exzessives und zwanghaftes Arbeiten in allen Erwerbstätigengruppen verbreitet, hieß es. Am häufigsten neigten Menschen in Land-, Forst-, Tierwirtschaft und Gartenbau zu suchthaftem Arbeiten. Der Berufsbereich Informatik und Naturwissenschaft sowie Geografie sei von dem Phänomen dagegen „am wenigsten betroffen“.

Gleichwohl bestehe zwischen suchthaftem Arbeiten und Führungsverantwortung „ein statistisch höchst signifikanter Zusammenhang“. Führungskräfte sind zu 12,4 Prozent arbeitssüchtig, andere Erwerbstätige nur zu 8,7 Prozent. „Unter den Führungskräften ist suchthaftes Arbeiten außerdem umso stärker ausgeprägt, je höher die Führungsebene ist“, erklärten die Studienautorinnen und der Autor. Die obere Ebene komme auf einen Anteil von 16,6 Prozent. In vielen Betriebskulturen würden an Führungskräfte Anforderungen gestellt, die „Anreize für arbeitssüchtiges Verhalten“ setzen, vermuteten die Forschenden.

Einen starken Zusammenhang mit suchthafter Arbeit hätten überdies Betriebsgröße und Mitbestimmung in den Unternehmen. In Großbetrieben sei Arbeitssucht offenbar weniger verbreitet als in kleinen Betrieben. Bei Firmen mit weniger als zehn Beschäftigten „fallen 12,3 Prozent in die Kategorie der suchthaft Arbeitenden“, bei mehr als 250 Beschäftigten 8,3 Prozent. Dies könnte an einer stärkeren Regulierung der Arbeit liegen.

Mit rund zehn Prozent Arbeitssüchtigen erreicht Deutschland einen Wert, der nah an den Ergebnissen ähnlicher Studien aus anderen Ländern liegt. So kamen Forschende in den USA ebenfalls auf zehn Prozent und in Norwegen auf gut 8 Prozent. Aus dem Rahmen fällt Südkorea, wo eine Untersuchung einen Anteil von fast 40 Prozent ergab, allerdings mit einer etwas weiter gesteckten Definition von Arbeitssucht.

1971 hatte der US-amerikanische Psychologe Wayne Oates den Begriff „Workaholic“ geprägt, um zu beschreiben, dass einige Menschen ein Verhältnis zu ihrer Arbeit haben wie Süchtige zum Alkohol.

Heute arbeitet die Forschung mit verschiedenen Kriterienkatalogen. Arbeitssucht lässt sich demnach anhand von zwei Dimensionen bestimmen. Erstens muss die jeweilige Person exzessiv arbeiten, das heißt: lange und schnell arbeiten sowie verschiedene Aufgaben parallel erledigen. Der zweite Aspekt ist die „Getriebenheit“ der Erwerbstätigen: Sie arbeiten hart, auch wenn es keinen Spaß macht, nehmen nur mit schlechtem Gewissen frei und leiden unter „Entzugserscheinungen“ in ihrer Freizeit.

(dni/epd)
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