Porträt Deftones Zwischen Metal und Melodie

Nichts ist öder als eine Band, in der alle der gleichen Meinung sind. Schlimmer ist nur, wenn alle der Meinung eines Einzelnen sind. Denn oft kann erst durch Gegensätze Besonderes entstehen. Gilt das auch für die Deftones und ihr neues Album "Gore"?

Bei den Deftones sind die gegensätzlichen Pole leicht auszumachen: Einmal ein Gitarrist, der im klassischen Metal zu Hause ist. Ihm gegenüber ein eher artifizieller Sänger, der seine Vorbilder im New Wave von The Cure und Depeche Mode hat. Auch beim achten Album "Gore" krachen diese Positionen aufeinander. Riff oder Melodie? Doublebass oder Synthie? Schreien oder flüstern? Knüppeln oder schweben? Gitarrist Carpenter erklärte öffentlich, dass er mit den neuen Songs nichts anfangen könne. Von einem Ausstieg war die Rede, sogar dem Ende der Band. Um zu verstehen, warum die Deftones aber genau diese Spannungen brauchen, um zu funktionieren, muss man an deren Anfänge gehen.

Sacramento, Ende der 80er Jahre. Es waren einmal zwei Freunde in einem der schlechten Viertel der großen kalifornischen Stadt. Der eine fuhr Skateboard, der andere spielte Gitarre. Sie gründeten eine Band, traten auf Geburtspartys auf, bald in den umliegenden Klubs, schließlich in Los Angeles. Niemand hatte einen Namen für den Sound, den sie machten: Harter Metal, der durch die sehnsüchtige Stimme des Sängers in melancholische Sphären stieg. Schnell bekamen sie einen Vertrag bei Madonnas Label Maverick. Das erste Album erschien, Konzertreisen durch Amerika folgten, das nächste Album mit dem Überlied "Be Quiet And Drive" stieg in die Charts ein.

Vielleicht wäre es dabei geblieben, wenn Ende der 90er Jahre niemand den Begriff "Nu Metal" erfunden hätte. Korn, Limp Bizkit, Papa Roach hießen die Bands, die Metal mit Rap mischten. Eine Schublade war da, in die irgendwie die Deftones passten, auch wenn sie sich mit Text, Klang und Auftreten uneindeutiger und vielschichtiger präsentierten. Das zeigte Wirkung. Ihr drittes Album "White Pony", die vielleicht beste Gitarrenplatte dieser Jahre, brachte ihnen den weltweiten Durchbruch, einen Grammy und fanatische Fans.

Nach dem Triumph folgt das Klischee: Band verfällt den Drogen, spricht kaum noch miteinander und wenn, dann nicht über Musik. Folgealben entstehen, denen trotz aller Klasse diese Zerrissenheit anzuhören ist. Die Widersprüche scheinen zu groß für die Deftones. Ihr Dilemma: Für eine Band, die so schnell einen ureigenen Stil gefunden hat, bedeutet jede Veränderung, das bisher Erreichte in Zweifel zu ziehen. Und dennoch muss es einen Katalysator geben, der sie vorwärts treibt.

Und tatsächlich stellt sich diese Frage auch auf "Gore": Hält man neue Songs wie "Doomed User" neben Lieder der ersten Platte "Adrenaline" sind die Unterschiede minimal. Hört man aber einen Song wie "Prayers/Triangles", lässt sich der Weg, den die Band seitdem beschritten hat, deutlich erkennen. Hier wirken wieder die gegensätzlichen Kräfte. Die Tugenden des Trashmetals arbeiten gegen die Experimentierfreudigkeit des Sängers. Das verhilft der Band zu einem größeren, im Gitarrenbereich nicht unbedingt selbstverständlichen Klangreichtum.

Aber weiter in der Geschichte: Bei einem Autounfall verunglückt Bassist Chi und fällt ins Koma. Fünf Jahre bleibt er bewusstlos in einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod, bis er stirbt. So etwas verändert eine Band. "Eros", das Album, das sie mit Chi begonnen haben, können und wollen sie ohne ihn nicht beenden. 2015 holt sie der Tod erneut ein. Am 14. November soll die Band im Pariser Bataclan spielen. Tags zuvor besucht die Band das Konzert der Eagles of Death Metal. Dem Massaker kann die Band nur knapp unverletzt entkommen.

"Gore", zu Deutsch "Keil", heißt nun das neue Album. Demonstrativ, könnte man meinen. Auf dem Cover ist ein Schwarm Flamingos zu sehen. Das ist ebenso Effekt wie ein Spiel mit Assoziationen. Wieder entziehen sich die Deftones einer Zuschreibung, spielen mit Stimmungen und locken mit Songtiteln wie "Pittura Infamante" absichtlich in die Irre. Letztlich ist "Gore" eine Vorwärtsbewegung mit einem nie sentimentalen Blick zurück auf die eigene, mittlerweile fünfundzwanzigjährige Geschichte. Den großen Durchbruch haben sie nie geschafft, waren nie in der Liga von Vorbildern wie Metallica oder Depeche Mode. Stattdessen sind sie eine, wie man so sagt, Institution. Und die bleiben sie.

(RP)
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