Zweifel an Caravaggio-Entdeckung

Wenn in der bildenden Kunst "Sensationsfunde" gemeldet werden, ist stets Vorsicht geboten. Gerade bei den Alten Meistern lässt sich die Echtheit eines Bildes oft nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen. So verwundert es nicht, dass auch im jüngsten Fall Zweifel laut wurden.

Mailand Rund 100 bisher unbekannte Zeichnungen und Gemälde, die dem italienischen Maler Caravaggio (1573–1610) zugeschrieben werden, sind aus dem Nachlass seines einstigen Meisters, des Malers Simone Peterzano, ans Licht der Öffentlichkeit geholt und von den beiden Kunsthistorikern Maurizio Bernadelli Curuz und Adriana Conconi Fedrigolli als Originale Caravaggios ausgewiesen worden. Die beiden stützen ihre Echtheits-Zertifizierung auf Vergleiche mit anderen Werken des jungen Caravaggio.

Dieser Beweis ist so schwach, wie er sich anhört. Deshalb haben sich sogleich andere Kunsthistoriker zu Wort gemeldet und Zweifel an der kühnen Behauptung geäußert: Angesichts der Flut angeblicher Caravaggio-Funde seien weitere Prüfungen unabdingbar. Expertin Maria Teresa Fiorio äußerte: "Das könnten doch auch Zeichnungen von Peterzano sein." Es sei doch so, dass ein Schüler von seinem Lehrer lerne.

Sollten sämtliche entdeckten Werke echt sein, so stellten sie Schätzungen zufolge einen Wert von 700 Millionen Euro dar. Dass aber alle echt sind, gilt unter Fachleuten als ausgeschlossen.

Wieder einmal schien hier ein Wunsch der Vater eines Gedankens zu sein. Wie der kürzlich enttarnte und verurteilte Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi vorzugsweise Bilder malte, die ein berühmter Künstler beim Übergang von einer Phase seines Schaffens zur nächsten hätte malen können, so sollen auch die entdeckten, vorgeblichen Arbeiten des jungen Caravaggio eine Periode belegen, die bisher noch nicht dokumentiert war: Der junge Caravaggio ist in der Kunstgeschichtsschreibung ein unbeschriebenes Blatt. Und es wäre schön, wenn dieses Blatt endlich beschrieben würde.

Welche Schwierigkeiten es aber bereitet, für Bilder Caravaggios einen Echtheitsnachweis zu erbringen, das konnte man vor sechs Jahren in einer vielbeachteten Ausstellung des Düsseldorfer Museums Kunstpalast verfolgen. Die Schau reihte nämlich nicht nur Werke aneinander, sondern führte auch vor, wie das Forschungsprojekt "Gradoc" sich der Frage nach der Echtheit nähert. Die "Gradoc" übt Stilkritik und unterzieht die Bilder zugleich naturwissenschaftlichen Verfahren. Dabei trat unter anderem zutage, dass Caravaggio seine Vorzeichnungen stets mit Bleiweiß anfertigte. Die Kopisten seiner Bilder wussten davon nichts und verwandten Bleiweiß oft nur abschließend. Dem Auge des Röntgengeräts aber entgeht das nicht. So lässt sich heute mancher vermeintliche Caravaggio als Kopie entlarven. Teilweise sogar mit bloßem Auge. Denn die Farben von Bildern, die überhaupt kein Bleiweiß enthalten, wirken warm – und sind dadurch weit entfernt von der beabsichtigten kalkigen Kälte der Farben Caravaggios, die den Helldunkel-Kontrast erst richtig zur Geltung bringt.

Doch Vorsicht: Eine Kopie aus dem 17. Jahrhundert ist keine Fälschung! Zu Caravaggios Zeit kopierte man gern und viel – und oft sogar unter Aufsicht des Meisters. Und nicht selten wiederholte der Künstler ein Bild, um der Nachfrage gerecht zu werden.

Im aktuellen Fall geht es nun darum, ob es schlagende Argumente dafür gibt, dass einige der rund 1400 Zeichnungen von Schülern Simone Peterzanos tatsächlich von Caravaggio stammen. Dass sie Figuren und Kompositionen von dessen späteren Werken ähneln, ist noch kein Beweis. Denn es könnte sich auch um spätere Nachahmungen seiner reifen Werke handeln.

Also bleibt noch viel zu tun für die beiden Kunsthistoriker. Und vielleicht war auch der jüngste Sensationsfund wieder einmal bloß ein Schuss ins Sommerloch.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort