Würdigung eines Theatermachers Werk und Wirken des Theatermachers Roberto Ciulli

Düsseldorf · 1980 gründete er mit Wegbegleitern das Theater an der Ruhr in Mülheim. In „Der fremde Blick“ wird auf 1280 Seiten sein Schaffen gewürdigt.

 Alexander Wewerka,  Jonas Tinius:  Der fremde Blick   Alexander, 1280 Seiten,  35 Euro

Alexander Wewerka, Jonas Tinius: Der fremde Blick Alexander, 1280 Seiten, 35 Euro

Foto: dpa/Caroline Seidel

Ein Mann mit weiß geschminktem Gesicht, Kajal-schwarz geränderten Augen und melancholischem Fern-Blick pafft eine Zigarre. Es ist Roberto Ciulli, der weise Clown, der Mann aus Italien, der in Deutschland die Philosophie praktisch anwenden wollte und ein Theater gründete. In dem zweibändigen Werk „Der fremde Blick“, auf dessen Cover Ciulli einen gleich mit diesem fremden Blick entgegenschaut, wird das künstlerische Schaffen und politische Wirken des 1934 in Mailand geborenen Theatermanns nun umfassend gewürdigt.

Im ersten Teil beschreibt Alexander Wewerka, Chef des Berliner Alexander Verlags, in dem das Buch erschienen ist, Ciullis Lebensweg. Dazu gibt es zahlreiche Fotos, vor allem aus Ciullis Jugend in Italien, und auch ein paar Überraschungen, etwa das Fragment eines Romans, an dem Ciulli in seiner ersten Zeit in Deutschland gearbeitet hat. Damals war er bereits Doktor der Philosophie, arbeitete aber als Gastarbeiter in einer Fabrik in Göttingen. Machtgefälle in der Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Besitzenden und Arbeitern etwa haben Ciulli in Theorie wie Praxis interessiert. Und der Clown als Figur des Entfremdeten mit unsicherer Identität taucht in seinen Arbeiten immer wieder auf.

Kurz nach dem Fabrik-Intermezzo begann Ciulli seinen Werdegang am Theater, wurde erst Regieassistent in Göttingen, später Regisseur unter anderem in Düsseldorf und Köln. Er durchlief das deutsche Stadttheatersystem bis er bekanntlich im Mülheim an der Ruhr ein neues Konzept ausprobierte und eigenes Theater gründete mit festem Ensemble, selbstgesetzten Probenphasen und dem Anspruch, sich immer wieder in die Fremde zu wagen. Seit der Gründung 1980 ist das Theater an der Ruhr in über 40 Länder gereist, vor allem nach Osteuropa und Asien, und hat zahlreiche Ensembles ins Ruhrgebiet eingeladen. Weltoffenheit und kulturelle Neugier waren an Ciullis Theater nie hohle Floskeln, sondern werden seit Jahrzehnten mit Leben gefüllt.

Welche philosophischen Einsichten und politischen Anliegen Ciulli angetrieben haben und wie er und sein Ensemble zu einer unverkennbaren Theaterästhetik fanden, wird in den weiteren Teilen des Buchs deutlich. Darin gibt es unter anderem Gespräche, die Ciulli mit dem Anthropologen Jonas Tinius und dem Schriftsteller Navid Kermani führte. Außerdem eine große Sammlung von Kritiken und Theorietexten über das Theater an der Ruhr sowie ein Bildessay des Fotokünstlers Knut Wolfgang Marion, der Ciullis Schaffen seit den 1980er Jahren begleitet. So ist ein außergewöhnliches Theater in diesem Buch auch im Spiegel anderer Medien zu erkunden.

Alexander Wewerka,

Jonas Tinius: Der fremde Blick

Alexander, 1280 Seiten,

35 Euro

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