Würdigung Freiheitskämpferin auf der Opernbühne

Düsseldorf · Im Alter von 74 Jahren ist die afroamerikanische Sopranistin Jessye Norman in New York gestorben. Ihren Durchbruch erlebte sie in Deutschland, Auftritte führten sie in die ganze Welt, doch Teil des Opernzirkus wollte sie nie sein.

 Jessye Norman trat am Ende ihrer Karriere auch mit Jazz-Programmen auf wie beim Festival in Montreux.

Jessye Norman trat am Ende ihrer Karriere auch mit Jazz-Programmen auf wie beim Festival in Montreux.

Foto: dpa/Dominic Favre

Vielleicht sollte man heute „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauß anhören, um sich von Jessye Norman zu verabschieden. Man hört dann die wohlige Wärme ihres Soprans in der Tiefe und die Mühelosigkeit, mit der sie alles Dunkle jederzeit abstreifen konnte, um hinauf zu fliegen in die lichte Heiterkeit lyrischer Passagen. Sie war ja nicht nur eine „Ariadne“ oder „Aida“, sondern auch eine große Liedsängerin und entfaltete die ganze Strahlkraft ihrer Stimme, wenn sie sich vom weiten Klang eines großen Orchesters tragen ließ, dann ihre Schwingen ausbreitete und abhob. Doch gab sie sich im Flug nicht einfach der Fülle hin, sondern konnte die Energie auch wieder drosseln, um hier noch eine andere Farbe zu erwischen, dort eine ungewöhnliche Nuance zu setzen. Diese Vielfalt an Ausdruck bei höchster musikalischer Sorgfalt macht aus einer Sängerin eine unverwechselbare Sängerin. Eine Bühnenpersönlichkeit wie Jessye Norman.

Natürlich wusste die 1945 in den Südstaaten der USA geborene Künstlerin sich zu inszeniern, wenn sie in farbenfrohe Gewänder gehüllt mit exzentrischem Kopfputz auftrat wie eine Königin. Oder wenn sie zum 200. Jahrestag der französischen Revolution im flatternden Trikolore-Kostüm in Paris die Marseillaise – nein, nicht schmetterte, sondern feierte, zelebrierte. Hohepriesterin des Pathos.

Sie war ja selbst eine Freiheitskämpferin – musste es sein, um es als Frau mit dunkler Haut bis in die heiligen Hallen der Opernkunst, bis an Häuser wie die Metropolitan Opera zu schaffen. Die erste afroamerikanische Sängerin, die 1955 dort auftrat, Marian Anderson, war ihr Vorbild. Jessye Norman hat sich bewusst in eine Reihe gestellt und allein durch ihr Dasein auf den großen Bühnen der Welt viel bewegt. Natürlich kann das auch eigensinnig machen. Sie hat den Divenstatus ausgelebt, hatte Sonderwünsche hinter der Bühne, ließ sich hofieren. Und die Klassikwelt feierte sie.

Sie habe als Kind gleichzeitig zu sprechen und zu singen begonnen, hat Jessye Norman mal erzählt, darum sei Gesang für sie immer etwas Natürliches gewesen. In ihren besten Jahren war das tatsächlich zu hören, unangestrengt klang ihre Kunst, als würden ihr große Partien wie Wagners „Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ gerade eingegeben. Und dann mussten sie klingen, wie Jessye Norman sie sang.

Begonnen hat ihre Karriere in Deutschland. 1968 gewann sie in München den gefürchteten ARD-Wettbewerb. Ein Jahr später debütierte sie an der Deutschen Oper Berlin als „Elisabeth“ im Tannhäuser. Und schon in der zweiten Pause, so wird erzählt, bot man ihr ein vierjähriges Engagement an. Das nahm sie an. Doch sie war kein Ensemble-Mensch, suchte bald andere Wege, um in der Musikwelt zu bestehen. Nach dem ersten Karriereschub, der sie unter anderem an die Mailänder Scala und ins Royal Opera House Covent Garden in London brachte, widmete sie sich dem Kunstlied. Wagners Wesendonck-Lieder, die Gurre-Lieder von Arnold Schönberg und Alban Bergs Altenberglieder boten ihr reiche Gelegenheit, ihre musikalische Intelligenz und ihr Sprach- und Artikulationstalent zu beweisen. Wenn die Norman Deutsch oder Französisch sang, verstand man ihre Worte, und sie ergaben nicht nur musikalisch Sinn. Sie war eine Perfektionistin, nahm nichts leicht – wie alle, die perfekt sein wollen.

Und sie blieb eine Solistin, gab lieber großen Festivals in Programmen mit Klavierbegleitung die Ehre, statt im Opernzirkus mitzureisen. Doch sie liebte und trug die großen Momente. So eröffnete sie 1996 die Olympischen Sommerspiele in Atlanta. Da stand sie im weißen Seidenkleid auf einem Podest zwischen den Athleten. Die Frau, die als Tochter einer Lehrerin und eines Versicherungsagenten in Gospelchören gesungen hatte und am Radio die Opernwelt für sich entdeckte, krönte die Eröffnungszeremonie eines globalen Sportereignisses durch Opernbombast. Auch solche Auftritte prägen gesellschaftliche Entwicklung.

Damals hatte sie schon begonnen, zusätzlich auch im Jazz zu arbeiten und mit Programmen etwa zu Musik von Michel Legrand oder Duke Ellington aufzutreten. Anders als die großen Sängerstars der Gegenwart, denen sie die Bühne bereitete, gab Jessye Norman über ihr Privatleben wenig Preis. 2015 erlitt sie eine Rückenmarksverletzung, das wurde bekannt. An späten Folgen dieser Verletzung ist sie jetzt in einem Krankenhaus in Harlem im Kreis ihrer Familie gestorben.

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