Zu Besuch in Peter Handkes Haus

Der Dokumentarfilm "Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte" kommt dem Dichter sehr nahe. Nun gibt es ihn auf DVD.

Als normaler Arbeitnehmer ist man auf Optimierung gepolt, auf das rasche Verrichten mehr oder weniger nützlicher Leistungen. Peter Handke gehört nicht zu diesem Heer der von Effizienzbestrebungen gestressten Zeitgenossen, und das sieht man am besten in jener Szene, die bestimmt fünf Minuten dauert und sich so lang anfühlt, dass man schreien möchte. Der Dichter sitzt in seinem Lieblingssessel, er versucht, einen Faden in das winzige Loch einer Nähnadel zu bringen, aber er scheitert. Er versucht es immer wieder, "der Faden will nicht", meint man Handke murmeln zu hören, und dann schneidet er den Faden zurecht und probiert weiter, und als er es endlich geschafft hat, ist man schweißgebadet.

"Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte" heißt der schöne Dokumentarfilm von Corinna Belz, dem man es zu verdanken hat, dass man nun weiß, wie es bei Handke daheim aussieht. Und ein bisschen auch, wie es hinter seiner Stirn zugeht. Der 74-Jährige lebt in einem Haus auf dem Land bei Paris, und dieses Haus ist, wie Thomas Oberender in seinem Interviewband über Handke schrieb, weniger eine Behausung als ein Ort der guten Geister und Erinnerungsstücke. Den Räumen fehlt alles Repräsentative, sie wirken vielmehr wie eine Installation. Auf Tischen, Stühlen und auf dem Boden gibt es flüchtige Ansammlungen von Federn, Nussschalen, getrockneten Blütenblättern und Büchern. Es wirkt, als werde Paul Cézanne zum Kaffee erwartet und sichergestellt, dass der auch etwas zum Abmalen hat, sollte ihm denn mal langweilig sein.

Belz hat Erfahrung mit verschlossenen Künstlerpersönlichkeiten, von ihr stammt auch das Porträt "Gerhard Richter Painting" aus dem Jahr 2011. Und obwohl man bisweilen fürchtet, dass Handke die Regisseurin gleich hinauswirft, setzt sie stets nach und gewinnt Einblicke in sein Wesen. Er habe irgendwann beschlossen, dass alles fremd und neu ist und unerzählt, sagt er. Man sieht Handke beim Befühlen und Betasten seiner Worte zu, er schmeckt jedem Begriff nach und hat dabei etwas Naives. Er ist gleichsam die dritte Person seiner selbst.

Belz schwelgt in Naturbildern, sehr schön ist der Blick aus den Fenstern des Hauses in die Natur. Manchmal lässt sie Schrift über die Bilder laufen, Fragmente aus Handkes Werken und Notizbüchern. "Das Ich empfand ich heute Abend als eine unzuverlässige Maschine zum Ingangsetzen der Welt", schreibt Handke da, und man spürt, wie man allmählich in der Welt dieses Künstlers versinkt, eine entschleunigte Welt, die jener Adalbert Stifters ähnelt. Eine Welt, in der die Kleinigkeiten zur Fülle beitragen und für Heiterkeit sorgen.

"Noch nie in meinem Leben habe ich vorm Computer gesessen", sagt er, das erotisiere ihn einfach nicht. Handke sitzt lieber barfuß vor seinem Haus und spitzt Bleistifte an. Er setzt Muscheln zur Begrenzung an die Ränder eines Fußweges. Er feiert das Unscheinbare und zelebriert das Nebensächliche. "Leider bin ich nicht mehr so frech, wie ich gerne wäre", sagt er. Wenn er in die Messe gehe, bete er dafür, weniger scheu zu sein.

Man ist sich nicht sicher, wie viel von dem, was Handke anbietet, Koketterie ist. Man darf sich nicht täuschen lassen, bei aller vorgeblichen Langsamkeit haben wir es mit einem ungeheuer produktiven Dichter zu tun - sein neuer, im November erwarteter Roman "Die Obstdiebin" wird wieder mehr als 600 Seiten haben. "Unter der Eisschicht ist der Schnee aus dichtem Staub" heißt es in einem seiner Bücher, und unangenehm kühl wirkt er im Gespräch mit seiner Tochter Anima, die ihm ihre Entwürfe für Neuausgaben seiner Werke zeigt. Man kann sich keinen Reim auf Handke machen, so war es damals schon bei seinen Einlassungen zu Jugoslawien. Warum er zum Begräbnis von Milosevic gereist sei, fragt Belz. Weil er sich von Jugoslawien verabschieden wollte, entgegnet er entrückt.

Handke begann als junger Wilder, Dokumente aus Princeton, wo er der Gruppe 47 im Jahr 1966 "Beschreibungsimpotenz" attestierte, belegen das. In einem Gespräch mit Friedrich Luft aus dem Jahr 1969 sitzt er mit Beatles-Frisur und getönter Brille, und sein früher Hit, das Theaterstück "Publikumsbeschimpfung", erlebt man ausschnittweise in der Inszenierung von Claus Peymann. "Ihr Mitmenschen, ihr!", schleudern die Schauspieler den irritierten, perlenbehängten Zuschauern entgegen.

Vielleicht kann man sich darauf einigen: Handke glaubt an das Rettende der Erzählung. Er schenkt dem Leser Momente des Durchatmens. Seine Lehre hat er formuliert in dem Stück "Über die Dörfer": "Beweg dich in Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird."

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort