Zentrales Werk "Onkel Rudi"

Gerhard Richters 87 mal 50 Zentimeter messendes Bild "Onkel Rudi" hat es in sich, und das in mehrfacher Hinsicht. Obwohl der abgebildete Herr lächelt, erinnert das Gemälde von 1965 an ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte. Zugleich wiederum ist es für Richter ein Stück angenehmer Erinnerung an seine Jugend, denn er schätzte seinen Onkel Rudi sehr. "Ein charmanter Typ, den ich mehr mochte als meinen Vater", gestand er im RP-Gespräch. Er, Richter, habe viel von ihm gelernt; zum Beispiel, wie man mit Geld umgeht – und das Autofahren.

Onkel Rudi, der Mann in Wehrmachtsuniform, war jedoch ein Nazi. Noch heute fällt es Richter schwer, sich von ihm innerlich zu lösen: "Das war eine richtige Autorität für mich." Rudi, der Bruder seiner Mutter, fiel 1944 als Soldat an der Front in der Normandie.

Der Zwiespalt zwischen der unbestreitbaren Schuld eines Menschen und seiner persönlichen Ausstrahlung bildet eine Bedeutungsebene des Bildes. Eine andere ergibt sich aus dem Eindruck einer verwackelten Fotografie, die dem Gemälde zugrunde zu liegen scheint. Der Künstler wirft damit die Frage auf, wie Wirklichkeit sich uns darstellt. Der freundliche Schein trügt, gleichzeitig erwächst Zweifel an der Aussagefähigkeit aller Abbilder, die wir uns von der Welt machen. Das Schwarzweiß des Gemäldes schließlich rückt die Szene in die Distanz der eigenen Erinnerung. Solchermaßen birgt das Bild in sich die gesamte Nachkriegs-Debatte zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus – eine weltliche deutsche Ikone.

Richter schenkte das Bild dem Museum Lidice, in jenem tschechoslowakischen Dorf, dessen Einwohner die deutsche Besatzungsmacht 1942 ermorden ließ – als Akt der Vergeltung für den Mord an Reinhard Heydrich, dem stellvertretenden Reichsprotektor, seinerzeit Statthalter der Besatzungsmacht im "Protektorat" Böhmen und Mähren. Die Nazis behaupteten, die Bewohner hätten mit den Attentätern zusammengearbeitet; das ist jedoch widerlegt.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Lidice und Onkel Rudi besteht nicht. Doch Onkel Rudi befürwortete ein politisches System, das auch die Vernichtung von Lidice erst ermöglichte.

(RP)
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