Schwerpunkt „Die Zehn Gebote“ Die Lust auf das Verbotene

Die biblischen Gebote, die vom Begehren handeln, tappen in die gleiche Falle wie König David. Sie behandeln die Frau wie ein Besitz, wenn sie formulieren: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh, Haus, noch alles, was dein Nächster hat.“

 Der größte Verführer der Opernliteratur war Mozarts Don Giovanni. Hier macht er sich über die Braut Zerlina her – die sich allerdings auch nicht widersetzt. Szene aus einer Produktion des Theaters Krefeld/Mönchengladbach.

Der größte Verführer der Opernliteratur war Mozarts Don Giovanni. Hier macht er sich über die Braut Zerlina her – die sich allerdings auch nicht widersetzt. Szene aus einer Produktion des Theaters Krefeld/Mönchengladbach.

Foto: Matthias Stutte/Stutte, Matthias (stut)

König David im Alten Testament hält sich nicht an dieses Gebot. Während Urija, einer seiner höchsten Offiziere, gegen die Ammoniter Krieg führt, erblickt der König dessen schöne Frau Bathseba beim Baden, lässt sie zu sich holen und schläft mit ihr.

Es gibt in der menschlichen Sexualität so etwas wie einen blinden Fleck: die Tatsache, dass man sich eine Frau oder einen Mann wie eine Sache aneignen möchte, obwohl man weiß, dass sie oder er keine ist – sonst wäre der Besitz nicht im mindesten erotisch. Das Begehren entfaltet sich im Gleichgewicht von Gesetz (den anderen nicht zum Besitz zu machen) und Trieb (dies doch zu tun).

David missbraucht seine Macht. Er lebt seinen Trieb unter Umgehung des Gesetzes, um sich nicht dem Risiko der Zurückweisung auszusetzen. „Ohne mich bist du nichts; alles was du bist, bist du, weil ich dich attraktiv und erotisch finde,“ so oder so Ähnliches mag er Bathseba signalisiert haben.

Die biblischen Gebote, die vom Begehren handeln, tappen in die gleiche Falle wie König David. Sie behandeln die Frau wie ein Besitz, wenn sie formulieren:  „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh, Haus, noch alles, was dein Nächster hat.“

Wird das Objekt der Begierde zum Besitz, geht die erotische Spannung verloren, mit unabdingbaren Folgen: Bathseba wird schwanger, und David versucht, Urija das Kind unterzuschieben. Als ihm dies nicht gelingt, lässt er seinen Offizier an die vorderste Front versetzen. Urija findet den Tod, und auch das Kind wird sterben.

In der Psychoanalyse beschreibt der sogenannte Ödipus-Komplex die Entstehung des sexuellen Begehrens durch die erotische Besetzung eines Elternteils bei gleichzeitiger Rivalität und Todeswünschen gegenüber dem anderen Elternteil. Der andere Elternteil ist jedoch übermächtig. Verzicht tut Not. Die Sehnsucht nach dem Verbotenen wird überleben, und das Gewissen auch.

David erkennt die Schuld seiner rücksichtslosen In-Besitznahme der Frau und seines Verrats an ihrem Mann. Er bekommt eine weitere Chance und kann Bathseba auf der Basis von Gleichheit, Gegenseitigkeit und Freiheit für sich erobern – so ist zu hoffen. Ein zweites Kind überlebt und wird in die biblische Geschichte als weiser König Salomon eingehen.

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