Interview Wolf Haas „Nostalgie interessiert mich nicht“

Wolf Haas hat einen heiteren und melancholischen Roman über seine Jugend geschrieben. Nun stellt er „Junger Mann“ im Zakk vor.

 Der österreichische Schriftsteller Wolf Haas kommt im Februar ins Zakk.  Foto: Karlheinz Schindler

Der österreichische Schriftsteller Wolf Haas kommt im Februar ins Zakk. Foto: Karlheinz Schindler

Foto: picture alliance / ZB/Karlheinz Schindler

Den Privatdetektiv Simon Brenner kennen alle, jedenfalls alle, die Krimis lesen. Mit ihm ist der österreichische Autor Wolf Haas bekannt und berühmt und geworden. Sein neuer Roman ist vieles, nur kein Krimi: In „Junger Mann“ erzählt Haas die Geschichte eines 13-jähringen, übergewichtigen Jungen – im Österreich Anfang der 1970er Jahre. Was für eine Zeit! Und was für ein schöner Roman: zwischen Coming-of-Age-Geschichte und Road Novel. Am 7. Februar wird Haas im Zakk aus „Junger Mann“ lesen.

Wieviel wiegen Sie im Moment? Und bei welcher Größe? Sind Sie damit zufrieden?

Haas 75 Kilo bei 186 Zentimetern. Also, wie meine Freundin sagt: zu dünn.

Welche Rolle spielt das Gewicht für das Selbstbewusstsein eines jungen Mannes?

Haas In den 70erer Jahren gab es noch nicht so viele übergewichtige Kinder, insofern ist man als Dicker stärker aufgefallen als heute. Heute fällt man eher auf, wenn man keine Essstörung hat. Dass dieses Phänomen so grassiert, zeigt schon, wie Selbstbewusstsein und die körperlichen Normvorstellungen verknüpft sind. Es hat auch viel mit der sexuellen Entwicklung zu tun. Meine Romanfigur ist in der Pubertät.

In Ihrem Roman „Junger Mann“ wirkt die Anzeige auf der Waage wie eine Art Countdown für den übergewichtigen Erzähler, der nach Leibeskräften versucht, abzunehmen.

Haas Mir kommt vor, Sie sind der erste, dem das auffällt. Dabei ist es mir genau darum gegangen, um diesen Countdown, der einen gewissen Zug in die Sache bringt. Ich suche beim Schreiben immer so ein vorwärtstreibendes Element. Vielleicht, weil ich dann umso lustvoller auf der Stelle treten kann.

Kein Autor mag es, nach autobiographischen Hintergründen des jeweiligen Romans gefragt zu werden. Dennoch fragt man sich das als Leser Ihres Romans dauernd. Schließlich sind Sie wie Ihr junger Held 1960 geboren, auch Sie besuchten ein Internat. Aber dann dauert es für die Aufklärung bis Seite 210, bis also der Vater von einer Krankenschwester mit Herr Haas angesprochen wird. Warum das Versteckspiel?

Haas Für mich war das kein Versteckspiel, sondern von Anfang an offensichtlich, dass es ein stark autobiographischer Roman ist. Da ja meine Biographie meinen Lesern doch ein bisschen bekannt ist. Dass dann jemand zu dem Vater des jungen Mannes plötzlich „Herr Haas“ sagt, hängt eher mit meiner Lust zusammen, den abschnurrenden Prosa-Tonfall mit einer unangebrachten Intimität zu stören. Mir ist das wahnsinnig unangenehm, dass da jemand plötzlich mitten im Roman „Herr Haas“ zu der Romanfigur sagt. Vielleicht so ähnlich, wie in meinen Brenner-Romanen der Leser manchmal direkt angesprochen wird mit einem unangebrachten: „Pass auf, was ich dir sage.“

Was haben Sie mit der Rückkehr in die Jugendzeit über sich und auch die Zeit lernen können?

Haas Ich hab mich gewundert, dass ich diese Einfachheit der Erzählung ausgehalten habe. Bei so einem Buch kann man sich als Autor nicht so gut in Sicherheit bringen, sondern man steht sozusagen ziemlich blöd da. Vielleicht ist das ein Vorteil des Älterwerdens, dass einem das egal ist. Insofern könnte das Buch auch „Alter Mann“ heißen.

Mussten Sie sich auch ein wenig vor allzu großen nostalgischen Gefühlen bewahren – allein bei dem Wort „Telefonzelle“? Ist die Welt, die Sie beschreiben, inzwischen Geschichte und irgendwie untergegangen?

Haas Ja, grundsätzlich ist es doch schon ein sentimentales Projekt, wenn man sich seiner Jugend zuwendet. Da muss man schon sehr aufpassen, dass man nicht in den Schmalztopf fällt. Ich hab versucht, möglichst wenig Damals-Seligkeit aufkommen zu lassen, zum Beispiel über Markennamen, Modetorheiten, Radiohits, Fernsehprogramme. Das kommt alles nur sehr sparsam vor, denn Nostalgie interessiert mich eigentlich gar nicht. Mein Roman spielt zwar in den 70ern, im Grunde ist das Thema des Heranwachsens aber zeitlos.

Ihr Ton in „Junger Mann“ ist ein spürbar anderer als bei Ihren früheren Büchern. Die Sätze sind schneller, ich finde auch: witziger und melancholischer. Mussten Sie sich erst ein wenig einschreiben oder war mit der Figur die Stimme gleich da?

Haas Dass Sie witzig und melancholisch in einem Satz sagen, das finde ich wunderbar. Besser kann ich mein Gefühl diesem Buch gegenüber nicht charakterisieren. Aber es war in der Tat viel Arbeit, diesen Ton zu erwischen. Im Idealfall kriegt keiner der beiden Aspekte das Übergewicht. „Übergewicht“ war jetzt ein unbeabsichtiges Wortspiel.

Sie sind fast am Ende einer großen Lesetour. Gab es dabei auch Unerwartetes für Sie – an Reaktionen, an Fragen?

Haas Ja das war seltsam. Ich war fast beschämt, wie aufmerksam die Leute waren und mit dieser kleinen Geschichte mitgegangen sind. Vielleicht liegt es am Thema, bei dem sich jeder an das eigene Elend mit dem Erwachsenwerden erinnert fühlt.

Und wurde dabei auch die Frage oder Bitte nach einer Fortsetzung laut – wenn nicht: Reizt es Sie, die Geschichte fortzuschreiben; oder fürchten Sie, damit zu nah an die Gegenwart heranzukommen?

Haas Sie bringen mich zum Lachen. Daran hab ich keine Sekunde gedacht. Das wäre ja wirklich unverschämt, sich selbst so zur Serie auszuwalzen. Aber „unverschämt“ hat natürlich auch einen Reiz, insofern: wer weiß, ob mich nicht doch noch mal der Teufel reitet.

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