Kulturtipps zum Wochenende Arte widmet sich Düsseldorf und Kraftwerk

Kluge Menschen aus Düsseldorf berichten über die Gruppe Kraftwerk: Ein sehenswerter Bericht bei Arte erzählt, wie die Zukunft des Pop begann. Außerdem empfohlen: der großartige Debütroman von Natasha Brown und das neue Album von Big Thief.

 Kraftwerk auf der Bühne.

Kraftwerk auf der Bühne.

Foto: dpa/Gregor Fischer

Frische Stimmen zu Kraftwerk

In der Mediathek des TV-Senders Arte gibt es gerade einen sehr schönen Beitrag über Düsseldorf als Heimat von Kraftwerk und des Elektropop. Er ist Teil der Sendung „Stadt Land Kunst“. Man mag das ja schon fast nicht mehr hören, es gehört nämlich seit einiger Zeit zum guten Ton, sich über die Genialität und den Einfluss dieser Gruppe zu Wort zu melden. Doch die Autoren des Features tragen tatsächlich Neues bei. Es liegt daran, dass sie einige der am besten informierten Menschen in der Stadt besucht haben. Dirk Matejovski von der Heine-Uni etwa. Er erklärt, wie Kraftwerk vor allem auf dem Album „Radio-Aktivität“ Technologie und Magie verbinden. Sven-André Dreyer, der mit Michael Wenzel die legendären musikalischen Stadtrundgänge organisiert, weist darauf hin, wie revolutionär es damals war, Texte auf Deutsch zu singen. Die Künstlerin Daniela Georgieva findet hinter der kühlen Inszenierung der Gruppe die Emotionen. Und der Musiker Daniel Fritschi erklärt die Liebe der Kraftwerker zu den Maschinen.

 Das Publikum bekommt einen Eindruck von der Zeit vermittelt, in der und aus der diese Musik entstanden ist. Kraftwerk kündet vom Glauben an den Fortschritt und verbindet akustische mit visueller Poesie. Außerdem muss man sagen, dass Düsseldorf selten so gut aussah wie auf den sonnendurchfluteten Bildern, die dieser Beitrag versammelt. „Am Rhein weht weiterhin ein innovativer Wind“, heißt es am Ende.

Beeindruckendes Roman-Debüt von Natasha Brown

Gerade ist der Roman „Zusammenkunft“ der britischen Autorin Natasha Brown auf Deutsch erschienen (Suhrkamp, 113 S., 20 Euro). Er ist nur etwas länger als 100 Seiten, aber er verrät unheimlich viel über unsere Gegenwart. In England gilt das Buch als erfolgreichstes Debüt des vergangenen Jahres. Die Autorin studierte Mathematik in Cambridge und arbeitete danach zunächst in London im Finanzdistrikt. Ihre Ich-Erzählerin treffen wir dort ebenfalls. Sie wird zur Abteilungsleiterin befördert, außerdem hat ihr gut situierter Boyfriend sie zu der Gartenparty seiner Eltern eingeladen. Aber die namenlose Erzählerin bekommt zur selben Zeit eine Krebsdiagnose, und ihr geht auf, dass das Wochenende bei den künftigen Schwiegereltern bloß eine erneute Bewährungsprobe für eine Frau mit dunkler Haut sein wird.

 „Zusammenkunft“ erzählt davon, wie Rassismus den Alltag vergiftet. Und davon, was solche Sätze anrichten: „Nein, ich meine ursprünglich. Also deine Eltern wo die herkommen. Afrika, oder?” Der Stil ist aufs Nötigste beschränkt, Brown erzählt in kurzen Szenen und fügt die einzelnen Vignetten allmählich zu einem Gegenwartspanorama.

Neue Musik von der Band Big Thief

Die amerikanische Band Big Thief ist in den vergangenen Jahren zu der Gruppe geworden, auf die sich alle einigen können. Mache sind sogar derart begeistert von den vier Alben, die seit 2016 erschienen, dass man misstrauisch werden könnte: Sind die denn wirklich so gut? Nun ist das neue Album da, und die Antwort lautet: Ja, sind sie.

 „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“ heißt das Werk Nummer fünf, doch der umständliche Titel täuscht. Das ist herzliche, freie Musik, die zwar im Folk gründet, aber gelegentlich ausgreift in andere Genres wie TripHop und krautrockartige Ausflüge. 20 Stücke haben sie auf dem Doppelalbum versammelt, Big Thief mussten das Konvolut der ursprünglich 45 eingespielten also um mehr als die Hälfte kürzen.

 Sie haben die Musik in vier verschiedenen Studios eingespielt. Einmal zogen sie sich in eine Waldhütte zurück, arbeiteten ohne Strom und bei Kerzenschein, und dabei entstand eines der schönsten Lieder ihrer Karriere: „Certainty“. Der Hauptgrund, warum man die Musik von Big Thief empfindet, als sie nur für einen selbst geschrieben, ist die Stimme von Adrienne Lenker. Die Frau, die in einer christlich-fundamentalistischen Sekte aufgewachsen ist, singt mit solcher Eindringlichkeit und wirkt dabei so verletzlich, dass man sich ihr kaum entziehen kann und mag. Und sie hat ja auch ganz großartige Soloplatten veröffentlicht, „Songs & Instrumentals“ etwa, die Platte muss man hören.

 Was an dem neuen Werk ihrer Band indes am meisten verblüfft, ist das Sounddesign. Toningenieur Shawn Everett hatte freie Hand, und er gab vielen Stücken einen Demo-Charakter: Sie klingen vage verrauscht, bewusst unfertig und körnig, dadurch aber unmittelbarer. Drumcomputer wird mit Akkordeon gepaart, in „Blurred View“ pluckert die Elektronik, über „Little Things“ liegt ein Filter.

 „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“ ist das Allbum, auf dem Big Thief ihr ganzes Können zeigen.

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