Shakespeare-Premiere in Düsseldorf Der Leitwolf des Todes

Düsseldorf · Evgeny Titov inszenierte William Shakespeares „Macbeth“ im Düsseldorfer Schauspielhaus. In der Titelrolle brillierte André Kaczmarczyk.

 André Kaczmarczyk als Macbeth in der Düsseldorfer Shakespeare-Premiere.

André Kaczmarczyk als Macbeth in der Düsseldorfer Shakespeare-Premiere.

Foto: Thomas Rabsch/Dhaus

Kann man „Macbeth“ auf der Bühne zeigen und dabei die Hexenszene wegkürzen? Natürlich nicht. Nur zwölf Zeilen umfasst der Text der drei seltsamen Wesen, der „weird sisters“. Und außer der Präsentation einiger Motive und Leitbegriffe haben sie eigentlich keine Bedeutung für den Fortgang der Handlung. Aber ihre Sprüche sind, meist auf Englisch, fest in unser kulturelles Bewusstsein eingebrannt. Dabei war ihr Erscheinen mit Blitz und Donner auf der elisabethanischen Bühne nur ein praktisches Accessoire. Die Hexen sollten, so wird heute vermutet, das schwatzende Publikum zur Ruhe bringen.

Ganz anders bei dem Regisseur Evgeny Titov, der Shakespeares Drama aktuell für das Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert hat. Die drei Schicksalsfrauen sind bei ihm allgegenwärtig. Sie lassen ihre Sprüche ab, kommentieren die Handlung, übernehmen einige Tötungsaufträge und blicken immer wieder aus der Nähe auf die sich entwickelnde Tragödie.

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Titov hat das Stück beinahe aller sichtbaren Aktionen entkleidet. Es gibt keine Schlacht, keine Schwertkämpfe, keine Morde, kein Bankett mit den Geistern der Ermordeten. Nur eine Menge Blut und elf Personen, meist in tiefer Dunkelheit. Auch einige Kinder, als Thronprätendenten herausgeputzt. Vor allem aber gibt es den Text des Weltdichters, hier in der Übersetzung von Thomas Brasch zu einer ganz besonderen Wirkung gebracht: „Fein ist faul und faul ist fein.“

Der Anfang des zweistündigen Abends ist wie erwartet. Bei der Rückkehr von einer gewonnenen Schlacht begegnen den beiden Befehlshabern der schottischen Armee, Macbeth und Banquo, die drei Hexen. Mit ihren kahlen Köpfen und federnden Bewegungen erinnern sie eher an Spiderman als an menschliche Wesen. Sie begrüßen Macbeth als Than von Cawdor und künftigen König, prophezeien zur selben Zeit aber Banquo, dass er der Vater von Königen sein werde.

Blutverschmiert, noch erschöpft vom Kampfgeschehen, auf der glatten Fläche eines gewaltigen Felsmassivs liegend, lauscht André Kaczmarczyk dem fatalen Orakel. Bald soll es zur „self fullfilling prophecy“ werden, in die Tat umgesetzt von den dunklen Trieben eines kriegerischen Leitwolfs. Than von Cawdor, was ist das schon? Ein Sternchen mehr auf der Uniformjacke beim Galaempfang des Königs. Diese Bankette will er künftig selbst ausrichten, als König Macbeth von Schottland.

Was bisher gemäß der Thronfolge unmöglich schien, hier eröffnet sich ein Weg. Flugs geht ein Brief an die Lady. Eigentlich lebt man schon lange über die Verhältnisse im Hause Macbeth, in überdimensionierten Räumen, deren Wände gefährliche Risse zeigen. Dort erhält Manuela Alphons als Lady Macbeth die Nachricht ihres Mannes vom Sieg und dem Hexenspruch.

Stärker noch als ihr Mann ist sie von Ehrgeiz angetrieben, ohne Skrupel mit teuflischer Grandezza. Ein Königsmord: eine Petitesse. In den Armen von Manuela Alphons bekämpft der wesentlich jüngere André Kaczmarczyk sein Zittern vor der bösen Tat. Hiernach aber drückt er sich nur noch verschreckt in Ecken herum.

Im Bühnenbild von Etienne Pluss und der Lichtregie von Konstantin Sonneson sind die Hochlandfelsen und der Macbeth-Palast die dunkle und die helle Seite einer Drehbühne, ohne dass man hieraus auf Gut und Böse schließen könnte. Ohnehin läuft das Geschehen des Abends meist im Dunkeln ab, etwas nervig segmentiert durch grell aufleuchtende Bodenblenden. Auch beeinträchtigt der riesige Bühnenraum das akustische Verstehen der großen Monologe. Das ist schade, denn es gibt eindringliche Szenen mit Florian Claudius Steffens in der Rolle des Königssohns Malcolm, Matthias Buss als Banquo sowie Sebastian Tessenow und Claudia Hübbecker als Macduff, Than von Fife und seine Lady.

Die Düsseldorfer Premierengespräche waren diesmal erinnerungslastig: „Wissen Sie noch, der ,Macbeth’ in der Regie von Jürgen Gosch vor über 15 Jahren?“ Damals verließen die ersten zwei Dutzend Zuschauer den Saal bereits nach 20 Minuten, das Theater hatte seinen Skandal. Man empörte sich über viele Liter vergossenen Theaterbluts, nebst Exkrementen aus Mousse au Chocolat. Die meisten Kritiker zeigten sich hingegen angetan. In einer großen Tageszeitung hieß es: „So krass und körperlich, aber auch so virtuos und komisch in seiner Schroffheit war Shakespeares Drama vielleicht noch nie zu sehen.“ Es folgte eine Einladung zum Berliner Theatertreffen.

Blutig ist auch die Inszenierung von Evgeny Titov. Doch kein Tropfen wirkt hier zufällig. In der stärksten Szene des Abends findet Macbeth seine am Boden liegende Lady tot auf. Sie ist dem Wahnsinn erlegen. Macbeth beginnt zu tanzen. Allein tanzt er den Todesreigen dieses Paares, das sich auf fatale Weise übernommen hat. Innehaltend macht André Kaczmarczyk noch einen letzten Versuch, der großen Schuld zu entkommen: Er wäscht sich die Hände, vergeblich.

Dann geht er wieder zur Toten, beschmiert sich vollständig mit ihrem Blut. Jetzt ist der tragische Held bereit für den tiefsten Grund der Fallhöhe. Wie nach der Schlacht legt er sich auf die Highland-Felsen, seine Tötung durch Macduff geschieht nur in Worten. Und die Hexen schauen zu: „Fein ist faul und faul ist fein.“

Ein großer, nachhallender Shakespeare-Abend.

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