Willemsens musikalische Weltreise

"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen", heißt es in dem Gedicht "Urians Reise um die Welt" von Matthias Claudius. Dass sich daran bis heute nichts geändert hat und Reise-Abenteuer ebenso spannend sein können wie ein Spiel der Fußball-WM, dafür lieferten Roger Willemsen und die WDR Big Band im voll besetzten Robert-Schumann-Saal in Düsseldorf den besten Beweis. Zum Start der neuen Jazz-Reihe traf die Big Band diesmal nicht mit einem Gesangs- oder Instrumentalsolisten zusammen, sondern mit Willemsen, einem Mann des Worts.

"Moderation und Lesung" stand in der Ankündigung, doch eine "Lesung" oder gar "Vorlesung" war es nicht, was der promovierte Germanist dem Publikum in Düsseldorf vier Tage nach der Antrittsvorlesung zu seiner Honorarprofessur an der Berliner Humboldt-Universität bot. Zum Glück.

Bei seiner Begegnung mit der WDR Big Band zum Stichwort "unterwegs" behandelte er das Thema Reisen unakademisch, indem er auf eine Kunst zurückgriff, die in Deutschland fast vergessen ist: das Geschichtenerzählen. In freier Rede reihte er Anekdote an Anekdote. Tieftraurige und urkomische, anrührende und abstoßende – mit besonderem Blick für Skurriles oder Groteskes. Und alle sind sie wahr, wenn auch zum Teil zum Zerrbild überspitzt. Der Reiseschriftsteller und die weit gereiste Big Band traten auf der Bühne in Dialog miteinander, wobei Willemsens Spontaneität das Gegenstück bildete zur Improvisation der Band. Kompositionen aus aller Welt ließen die Reisebilder in der Phantasie des Zuhörers schwingen und gaben ihnen Farbe.

Von Herbie Hancocks "Cantaloupe Island", das in der Acid-Jazz-Version von US3 einst Titelmelodie der Talkshow "Willemsens Woche" war, führte die Reise über Afghanistan, Afrika, Amerika, Tonga und Japan bis ins Weltall. Das Publikum erfuhr, wie ein afghanischer Dorfältester auf die Frage nach dem Frieden antwortet: "Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit", wie der an der Glasknochenkrankheit leidende Pianist Michel Petrucciani es schafft, den in einer Höhle lebenden Saxophonisten Charles Lloyd in die Welt des Jazz zurückzuholen, und wie Willemsen die russischen Kosmonauten Krikaljow und Wolkow interviewt, für deren Rückkehr auf die Erde sich nach dem Zerfall der Sowjetunion niemand zuständig fühlt.

Es müssen jedoch nicht immer ferne Länder Ziel einer Reise sein, oft ist es auch das Zu-sich-selbst-Kommen durch eine Begegnung, eine Umarmung. Und dass man sogar solche Veranstaltungen bereisen kann, wird die Ausstrahlung des Mitschnitts (am 7. August um 21.05 Uhr auf WDR 5) zeigen.

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