Große Ausstellung im K20 Wie Hilma af Klint die moderne Malerei erfand

Düsseldorf · Die schwedische Künstlerin Hilma af Klint erfand 1906 die abstrakte Malerei - noch vor Kandinsky. Lange war sie vergessen. Nun wird ihr Werk mit einer Schau in der Kunstsammlung NRW gefeiert.

Das Bild „Primodival Chaos, no. 16“ entstand 1906/07.  © Stiftelsen Hilma af Klints Verk Foto: Albin / mit Genehmigung von Hatje Cantz

Das Bild „Primodival Chaos, no. 16“ entstand 1906/07. © Stiftelsen Hilma af Klints Verk Foto: Albin / mit Genehmigung von Hatje Cantz

Foto: Hatje Cantz

Wenn es gerecht zugehen würde, sähe der Lexikoneintrag zur „Abstrakten Malerei“ heute vielleicht so aus: „Im Jahr 1944 starben drei bedeutende abstrakte Künstler. Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Hilma af Klint gelten als Pioniere der abstrakten Malerei, wobei Hilma af Klint der Verdienst zukommt, die nichtgegenstandsbezogene Malweise der klassischen Moderne erfunden zu haben. Bereits 1906, also vier Jahre vor Kandinsky, schuf die Schwedin das erste abstrakte Gemälde.“ Allerdings geht es nicht immer gerecht zu. Und deswegen fehlt in den meisten Fachbüchern über diese Stilrichtung ein Name.

Hilma af Klint wird nun wiederentdeckt, und zwar mit solcher Wucht, dass sich das künftig auch auf die Kunstgeschichtsschreibung durchschlagen dürfte. Der Verlag Hatje Cantz legte einen Katalog ihrer Arbeiten vor, die Kunsthistorikerin Julia Voss brachte eine 600 Seiten starke Biografie heraus, die Regisseurin Halina Dyrschka hat die Kinodokumentation „Jenseits des Sichtbaren“ gedreht. Und nun eröffnet die Kunstsammlung NRW im K20 in Düsseldorf die Schau „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky - Träume von der Zukunft“. All diesen Ereignissen ist das Staunen darüber eingeschrieben, dass so viele Menschen so lange in Unkenntnis gewesen sind über das Werk einer so bedeutenden Künstlerin. Es ist ein bisschen, als hätte man herausgefunden, dass es gar nicht Edison war, der die Glühbirne erfunden hat.

     Eros Series, no. 2, 1907  © Stiftelsen Hilma af Klints Verk. Photo: Albin Dahlström/Moderna Museet

Eros Series, no. 2, 1907 © Stiftelsen Hilma af Klints Verk. Photo: Albin Dahlström/Moderna Museet

Foto: Hatje Cantz

Hilma af Klint wurde 1862 auf Schloss Karlsberg in Solna geboren. Die Tochter einer schwedischen Adelsfamilie gehörte zu den ersten Frauen, die an der Königlichen Kunstakademie in Stockholm Malerei studieren durften. Und sie war erfolgreich. Ihre naturalistischen Landschaftsdarstellungen, botanischen Zeichnungen und Porträts wurden ausgestellt, verkauft und besprochen. Hilma af Klint beschäftigte sich mit Spiritismus, sie interessierte sich für Theosophie und die Schriften Rudolf Steiners, mit dem sie auch korrespondierte. Schließlich betrachtete sie sich als Medium, das mit der Welt jenseits des Sichtbaren kommuniziert. Sie sei auserkoren, „astrale Gemälde“ zu schaffen, meinte sie. 1906 war das, damals verwarf sie ihren konventionellen Malstil und begann, ornamentale und florale Motive zu malen, Spiralen, pastose Flächen, Schneckengebilde, entfesselte geometrische Formen und Buchstaben. Die Maße ihrer oft zu Serien gruppierten Bilder wurden immer größer, fünf mal zwei Meter mitunter.

Die ersten abstrakten Bilder, die Hilma af Klint ausstellte, wurden kritisiert: verrückte Frau. Danach beschloss die Künstlerin, nicht mehr zu zeigen, was sie schuf. Wer nun meint, da habe sich halt jemand von der Welt losgesagt, irrt sich indes. Hilma af Klint reiste viel, hielt Vorträge, kommentierte die wissenschaftlichen Neuerungen der Zeit: Spaltung des Atoms, Radiowellen, Röntgenstrahlen, Quantenphysik. Sie hatte Anteil an ihrer Gegenwart und versuchte, sich malend einen Reim darauf zu machen, die Muster des Lebens zu begreifen und also das Wesen der Welt. Dass sie auch auf das Parawissenschaftliche setzte, um das Unerforschte zu erhellen, passt in die Zeit: Man denke nur an den Plan Thomas Edisons, per „Spirit Phone“ mit den Toten zu telefonieren. Auch Kandinsky war bekennender Esoteriker.

 Hilma af Klint in ihrem Atelier.

Hilma af Klint in ihrem Atelier.

Foto: (c) Stiftelsen Hilma af Klints Verk, fotografiert von Albin Dahlström, Moderna Museet, Stockholm

Hilma af Klint verfügte vor ihrem Tod, ihre Werke mögen 20 Jahre unter Verschluss gehalten werden: Sie schickte sie gewissermaßen mit einer Zeitkapsel in die Zukunft. Die Welt vergaß diese Künstlerin, und als in den 1980er Jahren erstmals ihre Arbeiten in Los Angeles gezeigt wurden, regierte in der Kunstkritik offensichtlich noch die Breitbeinigkeit: „Sie würde nie diese Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie keine Frau gewesen wäre“, schrieb ein Kritiker, der ihre Werke als „bunte Diagramme“ herabwürdigte. Es sei absurd, sie in die Nähe eines Kandinsky zu hängen.

Seither hat sich etwas getan, vor knapp zehn Jahren begann die Neuentdeckung Hima af Klints, deren Höhepunkt wir nun erleben. Ihre Werke wurden im Hamburger Bahnhof in Berlin ausgestellt, im MoMA kamen 600.000 Besucher, um sie zu betrachten, und im Film „Personal Shopper“ hängen sie für ein Millionenpublikum sichtbar an den Wänden einer Wohnung und schmücken den Sperrbildschirm des Smartphones von Kristen Stewart. Poster werden gedruckt, Notizbücher mit Reproduktionen ihrer Werke eingebunden. „Die Kunstgeschichte muss umgeschrieben werden“, forderte Julia Voss in der FAZ. Für sie ist Hilma af Klint die „bedeutendste Wiederentdeckung der modernen Kunstgeschichte“.

Tatsächlich ist es großartig, einem Werk zu begegnen, das noch nicht notariell beglaubigt und umfassend ausgedeutet ist. Man betrachtet dieses Werk sozusagen mit frischem Blick, ohne das Ehrfurchtsgebot, das über vielen Ausstellungen von Werken der Moderne liegt. Die Erfindung der Abstraktion ist nun jedenfalls kein männliches Projekt mehr.

Eine Frau war zuerst da.

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