Wie man Kinder für Architektur begeistert

Interview Die Düsseldorfer Graphikerin und Jugend-Expertin Inge Sauer hat ein Buch über ein vernachlässigtes Thema verfasst

Düsseldorf Architektur kommt hierzulande im Schulunterricht kaum vor, anders als etwa in Finnland. Die Düsseldorfer Künstlerin und Graphikerin Inge Sauer, Expertin für Jugendkultur, hat mit der Pädagogin und Didaktik-Spezialistin Christine Kretschmer Vorschläge erarbeitet, wie man Kinder (und Erwachsene) für Architektur sensibilisieren kann. Wir sprachen mit ihr.

Frau Sauer, ist unser Sinn für Architektur unterentwickelt?

Sauer Ästhetische Erziehung findet durch positive Beispiele statt. Alle Architekten und Stadtplaner lieben Italien und erzählen begeistert, dass sie dort täglich auf der Piazza Kaffee trinken. Aber hier sind fast alle Plätze verbaut.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Kindern gemacht, die sich spielerisch mit Häusern, Türen oder Städtebau befassen?

Sauer Kinder haben einen viel offeneren Blick als Erwachsene, deshalb arbeite ich auch so gern mit ihnen. Ich will auf keinen Fall ihre Umgebung schlecht machen. Aber sie sind die zukünftigen Bewohner unserer Städte und müssen lernen, worauf es ankommt, wenn man in seiner Umgebung gut leben möchte. Es ist ein Jammer, dass Architektur, die so wesentlich für die Zukunft der Kinder ist, in der Schule kaum oder gar nicht vorkommt.

Haben Kinder andere Bedürfnisse als Erwachsene?

Sauer Alle klagen, dass die Kinder den ganzen Tag vor Bildschirmen sitzen und sich nicht bewegen. Wo sollen sie es denn tun? Die meisten Schulhöfe sehen eher aus wie Gefängnishöfe mit ihren riesigen asphaltierten Flächen. Auch die sterile Umgebung von Einfamilienhaussiedlungen trägt wenig zur Förderung sozialer Kontakte bei.

Kann man Kinder und Jugendliche in die Planung von Bauprojekten einbeziehen?

Sauer Es gibt einige Projekte mit Kindern, die fabelhafte Ergebnisse hervorgebracht haben. Aber dazu gehören Architekten, die in der Lage sind, mit Kindern zu kommunizieren und die Ideen in hoher Qualität umzusetzen. In Schulen und Kindergärten braucht es auch Lehrpersonal, das mit ungewöhnlicher Architektur umgehen kann. Vorige Woche erzählte mir ein Architekt, dass er von Charles Eames gestaltete Garderobenhaken mit lustigen bunten Knöpfen wieder abmontieren musste, weil sich die Lehrer darüber aufgeregt hatten.

Wenn Kinder ihre derzeitige Umgebung mit der früheren anhand von Fotos vergleichen, reagieren sie dann eher konservativ?

Sauer Ich bin immer wieder erstaunt, wie offen Kinder für alles sind. Ein Kind aus Kaarst sagte: "Früher waren dort Bauernhöfe mit Wiesen und Tieren. Heute sieht alles gleich aus." Aber zu ihrem außergewöhnlichen, modernen Rathaus sagten die Kinder: "Wir haben das schönste Rathaus überhaupt." Dort hat man eben auch an Wasserflächen und großzügige Begrünung gedacht. Kinder zeichnen phantasievolle Häuser.

Kann man eine Brücke schlagen zur Realität des Bauens?

Sauer Der Architektengruppe "Baupiloten" in Berlin gelingt es, Kinderzeichnungen geschickt zu interpretieren, im Buch zeige ich Beispiele der Gestaltung und Belebung von Schulfluren und Kindergärten.

Wie sieht eine gute Schule aus?

Sauer Das kann man in Düsseldorf sehen! Die Grundschule an der Rolandstraße von Paul Schneider-Esleben aus der Nachkriegszeit ist ein hervorragendes Beispiel eines offenen und hellen Baus. Auch das Theodor-Fliedner-Gymnasium von Parade in Kaiserswerth aus den 60er Jahren wirkt großzügig – trotz aller verunstaltenden Umbauten.

Auch wenn das Geld knapp ist: Gibt es Möglichkeiten, mit den Kindern ihre Umgebung zu verbessern?

Sauer Eine Naturbegrünung, die wenig pflegeintensiv ist und an der Kinder mitwirken können, ist an verschiedenen Orten schon verwirklicht. Da können Kinder beobachten, wie ihre Pflanzen wachsen und wie Vögel, Bienen und Schmetterlinge kommen.

(RP)
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