Widersprüchliche Zukunftsvisionen

Die neue Bibel der Manager zeichnet ein allzu rosiges Bild der Zukunft.

Das Buch "The Second Machine Age" ist schon mehr als ein Jahr auf dem Markt und hat sich zur wichtigsten Lektüre für technik-affine Manager in diesem Jahrzehnt entwickelt. So wie das Buch "Die Erde ist flach" von Thomas Friedman die Globalisierung beschreibt, die es erlaubt, Produktionsstätten, Labors und Vertriebseinheiten in kurzer Zeit über den Erdball zu verschieben, so erläutert das Buch der beiden US-Wissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McCafee die Umbrüche, die durch die Digitalisierung ausgelöst werden. Wenn also Manager wie Telekom-Chef Timotheus Höttges oder andere von disruptiven Innovationen sprechen, also Umwälzungen, die bisherige Geschäftsmodelle völlig entwerten, dann haben sie bei den beiden US-Autoren nachgelesen. Wie überhaupt die zukunftsweisenden Äußerungen deutscher und amerikanischer Konzernlenker sich gern des Vokabulars aus dem Buch "The Second Machine Age" bedienen.

Ist es nun tatsächlich die Bibel der Digitalisierung? Zunächst muss man anerkennend sagen, dass die beiden die Entwicklungen, die stattgefunden haben und die zu erwarten sind, auf den Punkt genau beschreiben. Das Buch ist voll von Beispielen und Belegen. Es erklärt fundiert und verständlich, wenngleich etwas euphorisch, worum es bei der Digitalisierung geht. Es werden die großen Ereignisse der Vergangenheit beschrieben, das Buch gibt einen Überblick über die schöne neue Welt der beweglichen und denkenden Maschinen, die heute schon in der Entwicklung sind.

Die These lautet: Nachdem die Apparate des ersten Maschinenzeitalters die menschliche und tierische Muskelkraft ersetzten, kommt es jetzt zu einem Ersatz der denkenden Fähigkeiten des Menschen. Die neue Computergeneration, so die Einschätzung der Autoren, bringt sich selbst steuernde Geräte hervor, die über intellektuelle Fähigkeiten verfügen. Sogar die denkende Maschine mit Ich-Bewusstsein ist möglich, kommt vielleicht sogar schneller als erwartet.

Diese Computer, die sprechen, rechnen, kommunizieren und auch Entscheidungen treffen können, ersetzen einen Großteil der bisherigen Arbeitsplätze. Zugleich ist es möglich, dass sie vom Menschen nicht mehr beherrschbar sind, weil sie über dessen Fähigkeiten hinauswachsen. Darin liegen auch große Gefährdungen, wie die Autoren zugeben. Sie konzentrieren sich allerdings eher auf den Nutzen der neuen Alleskönner, die im OP-Saal, in der Fabrikhalle, auf dem Mond, in der Tiefsee oder an der Börse eingesetzt werden können und den Menschen viel beschwerliche Gedankenarbeit abnehmen und dabei über Fertigkeiten verfügen, die Menschen nicht erreichen. Zugleich sind diese Maschinen wie nie zuvor vernetzt, reagieren nanosekundenschnell auf Veränderungen und ersetzen hochkomplexe Entscheidungsstrukturen.

Soweit, so visionär. Die Schwäche des Buchs liegt allerdings darin, dass die Technik so beschrieben wird, als sei sie schon umfassend störungsfrei und erfüllt das, was theoretisch denkbar scheint. Dass es immer noch nicht möglich ist, ein Mobilfunkgespräch stets unterbrechungs- und fehlerfrei von einem Nutzer in Düsseldorf zu einem in Köln aufzubauen, spricht eher dagegen. Insofern gibt das Buch zwar einen faszinierenden Blick auf die revolutionären wirtschaftlichen Folgen der Digitalisierung. Ob sie wirklich so eintreten, ist offen.

(kes)
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