Wickie in der Erfolgsfalle

Die erste Kinoversion der Kinderreihe war ein mutiger Film, der vor zwei Jahren sechs Millionen Menschen ins Kino lockte. Die Fortsetzung "Wickie auf großer Fahrt" wirkt indes verkrampft. Vielleicht liegt es daran, dass Michael "Bully" Herbig die Regie abgegeben hat.

Die echten Wikinger liebten vor allem eine Art Erfolg: den verheerenden. Wo sie auftraten, da wuchs eine Weile kein Gras mehr. Wenn die räuberischen Kerle an irgendeiner bedauernswerten Küste Europas wieder in ihre Langboote stiegen, um ihre Beute nach Hause zu bringen, dann machten sie sich um eines gewiss keine Gedanken. Darum, ob die Geplünderten beim nächsten Mal genauso zufrieden sein würden mit ihnen wie beim aktuellen Überfall.

Mit den Wikingern des Kinos sieht das schon ein wenig anders aus. Vor zwei Jahren hat die deutsche Kinderfilmproduktion "Wickie und die starken Männer" rund sechs Millionen Besucher vor die Leinwand gelockt. Im zersplitterten, kurzlebigen, von Piraterie und Heimkinobegeisterung bedrängten Kinogeschäft von heute gilt so etwas selbst für megabudgetierte US-Produktionen als Traumergebnis. Entsprechend hoch waren nun der Erwartungsdruck und die Anspannung bei den Produzenten, nur ja alles richtig, vielleicht sogar noch besser zu machen.

Um die Katze aus dem Sack zu lassen: "Wickie auf großer Fahrt" ist ein von Feigheit, Konsenswillen und Verkrampfung geprägter Film, einer, der sich phasenweise kompetent mechanisch durch Standardsituationen des Kinderfilms arbeitet, aber selten Charme entwickelt und manchmal gar ins Ärgerliche abrutscht. Dabei war es Wagemut, der "Wickie und die starken Männer" ausgezeichnet hat. Runer Jonssons Kinderbücher um Wickie, der kein furchtloser Berserker ist, wie sein Vater sich das wünscht, dafür aber schlauer als alle anderen, sind den meisten deutschen Kindern unbekannt. Auch die betagte japanische Trickserie aus den Siebzigern gehörte schon lange nicht mehr zu den Quotenbringern im Kinderfernsehen. Regie führte beim ersten "Wickie"-Film zwar Deutschlands umsatzstärkster Kinokomiker, Michael "Bully" Herbig, aber er trat nicht selbst auf. Hinterher will jeder schlau sein, und kaum noch einer mag sich erinnern. Aber damals war nicht nur unter Filmkritikern dieser Seufzer verbreitet: "Warum spielt er denn nicht selbst mit? Das kann doch so nichts werden."

Nun sitzt nicht mehr Bully Herbig auf dem Regiestuhl, sondern Christian Ditter, von dem die beiden Filme um die Bande der "Vorstadtkrokodile" stammen. Ditter, der auch das Drehbuch geschrieben hat, will einerseits einen kindgerechten und zugänglichen Film, also alles einfach halten, andererseits aber auch den Erwachsenen etwas bieten. Was er im Bemühen um die größtmögliche Zielgruppe auf die Leinwand bringt, ist aber kein Werk mit Untertönen, sondern eines mit unvermittelten Stilbrüchen. Der schlimmste dürfte wohl das Abenteuer mit den Amazonen sein. Wickie und seine Mannschaft – der Knirps muss die etwas tumben Nordmannen auf der Suche nach seinem entführten Vater (Waldemar Kobus) befehligen – landen bei kriegerischen Damen, die ein wenig wie die Kellnerinnen eines sehr primitiven Herrenclubs beim Schnür-mir-die-Rüstung-auf-Kostümabend wirken. Am Ende stehen die Frauen oben ohne da (die Kamera zeigt's von hinten), weil ihre Bekleidung als Segeltuch gebraucht wurde. Eventuell bekäme man auch diese Szene witzig hin, aber hier hat sie etwas entschieden Schmieriges. Mutproben für Wickie (erneut Jonas Hämmerle) Attacken auf böse Barbaren, die Pfiffigkeit des Kleinen in einer Welt von Großen – es wird was geboten im neuen "Wickie", der in 3D daherkommt. Aber das alles liegt nun in Wühlkistenmanier mit Plunder und Misslungenem bunt durcheinander.

Immerhin, auch die Wikinger wussten: Nicht jede Beutefahrt gelingt. ll

(RP)
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