Düsseldorf Wenn sich die Gewaltspirale dreht

Düsseldorf · Die israelische Regisseurin Dedi Baron inszeniert in Düsseldorf Hanoch Levins Drama "Mord".

Wenn sie könnten, würden diese jungen Männer weinen und bibbern vor Angst. Aber es ist Krieg, sie tragen Tarnanzüge, Helm und Waffe und haben gerade einen wehrlosen Jungen niedergestochen. Hinterrücks. Also müssen sie stark tun, verächtlich, abgebrüht, als sei der Junge zu ihren Füßen kein Mensch. Und als plötzlich dessen Vater auftaucht, haben die jungen Soldaten auch für ihn nur Spott und Aggression übrig. Das sät neue Gewalt. Ein unbeteiligtes Brautpaar wird sterben. Dann ein harmloser Arbeiter, weil Rache nie satt wird. Weil Gewalt immer noch mehr Gewalt fordert. Und weil das eine schrecklich einfache Logik ist.

In "Mord" dreht der israelische Dramatiker Hanoch Levin dreimal an der Gewaltschraube: israelische Soldaten töten einen palästinensischen Jungen, palästinensischer Vater tötet israelisches Liebespaar, israelischer Mob tötete palästinensischen Arbeiter. Dann bricht Levin ab. Doch es könnte so weitergehen, das erzählt die Wirklichkeit.

Levin legt die Gewaltmechanismen bloß, zeigt wie Täter Opfer werden und Opfer Täter. Die politischen Hintergründe interessieren ihn kaum, keine Ursachen, keine Rechtfertigung, seine Klage richtet sich allein gegen das Vergeltungsdenken an sich. Wo auch immer.

Das ist natürlich ein wenig einfach und wird dem Nahost-Konflikt nicht gerecht. Aber als zeitlose Parabel über Hass und dessen infizierende Wirkung ist die Geschichte wirkungsvoll. Und so inszeniert die israelische Regisseurin Dedi Baron das Stück auch am Düsseldorfer Schauspielhaus: als zeitlose, fast auch ortlose Parabel. Dazu hat ihr Florian Etti eine gelbliche Wüstenfläche aus Styropor-Klötzen auf die Bühne gebaut, die im Laufe des Spiels horizontal, später auch in Einzelteile verschoben wird. Mauer, Holocaust Mahnmal, Scholle - das schlichte Bühnenbild ist vielschichtig und anspielungsreich. Ringsum gibt es schmale Videoleinwände, über die assoziative Bilder laufen, die Yoav Cohen wirkungsvoll komponiert hat.

Unter diesem Horizont nutzen die Schauspieler ihre Spielfläche, und immer wenn Dedi Baron sie lässt, entstehen ergreifende Momente, etwa zwischen dem Brautpaar am Strand, das plötzlich einem Mörder gegenübersteht. Dazu webt Bojan Vuletic mit Musik einen eigenen Bedeutungsfaden durch die Inszenierung. Doch die Regisseurin wirkt unentschlossen, ob sie die Geschehnisse abstrakt ausstellen will, wie am Anfang, als Rainer Galke seltsam unbeteiligt den Tod seines Sohnes beklagen muss, oder ob sie ins Spiel eintauchen und Gefühle wecken will. Die Inszenierung bekommt dadurch etwas Uneinheitliches, zerfällt in Episoden, auch wenn das der Vorlage entspricht.

So entsteht ein Abend, der weniger erschüttert als nachdenklich macht, aber viele Klischees gekonnt umgeht und Mechanismen der Gewalt überaus klar offenlegt. Die Konflikte in dieser Welt sind viel komplizierter, die Logik dahinter ist erschreckend einfach.

Weitere Termine und Karten unter: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

(RP)
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