Düsseldorf Vor 25 Jahren starb Beuys

Düsseldorf · Joseph Beuys stand in der Blüte seines Ruhms, da erkrankte er, im Mai 1985, an einer interstitiellen Pneumonie, einem Lungenleiden. Was danach noch kam, wirkt aus jetziger Sicht wie sein Vermächtnis: eine Grundsatzrede in den Münchner Kammerspielen mit dem Titel "Sprechen über das eigene Land: Deutschland", in der er seine Theorie untermauerte, dass jeder Mensch ein Künstler sei; dann die letzte Installation, "Palazzo Regale", die heute zum Bestand der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zählt; schließlich, elf Tage vor seinem Tod, eine Rede, mit der er der Stadt Duisburg für die Verleihung des Lehmbruck-Preises dankte.

Bei diesem letzten öffentlichen Auftritt bekannte Beuys, dass ihm im Alter von 17 Jahren ein Heftchen in die Hände gefallen sei, in dem eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck abgebildet war. Und Beuys war elektrisiert: "Skulptur – mit Skulptur ist etwas zu machen. Alles ist Skulptur – rief mir quasi dieses Bild zu. Und in dem Bild sah ich eine Fackel, sah ich eine Flamme, und ich hörte: ,Schütze die Flamme!'"

Solchermaßen befeuert, wandte sich Beuys von den naturwissenschaftlichen Studien, denen er sich zugewandt hatte, ab und der Kunst zu. Lehmbruck, der damals schon nicht mehr lebte, wurde ihm zur Lichtgestalt auf dem Weg zur Sozialen Plastik, zur schöpferischen Mitgestaltung der Gesellschaft durch die Kunst. So entstand der vielzitierte "erweiterte Kunstbegriff".

25 Jahre nach Beuys' Tod am 23. Januar bezieht die Erinnerung an den Künstler, Schamanen und Gesellschaftskritiker auch den Anfang dieses Lebens ein, denn vor 90 Jahren, am 12. Mai 1921, wurde er geboren. Das doppelte Gedenken lässt das Genie vor dem geistigen Auge auferstehen: sein Studium an der Düsseldorfer Akademie, seine Lehrtätigkeit dort, den Rausschmiss durch den damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau, weil Beuys gegen Vorschriften der Hochschule verstoßen hatte, und schließlich 1979/80 die Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum, die ihn weltweit bekannt machte. Zu Lebzeiten war Joseph Beuys der berühmteste deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts.

Was ist von ihm geblieben? Ein umfangreiches, beeindruckendes, nicht ganz leicht zugängliches Werk, wie es zuletzt die Beuys-Schau der Kunstsammlung NRW vorführte, ein teilweise widersprüchliches Gedankengebäude, manch ökologischer Impuls und eine Menge Querelen. Dabei geht es nicht nur darum, wer der wahre Wahrer des Nachlasses ist: die Stiftung Schloss Moyland oder die Familie um die Witwe Eva Beuys. Es geht ebenso um die Frage, warum Beuys die Welt hinters Licht geführt hat, als er behauptete, er sei im Zweiten Weltkrieg als Soldat in seinem Stuka abgeschossen und von Krimtataren mit Fett und Filz acht Tage lang gesundgepflegt worden. In Wirklichkeit hatte ihn ein deutsches Suchkommando schon bald nach dem Absturz gefunden. Ob Beuys mit diesem Märchen seine Verwicklung in kollektive deutsche Schuld verdecken wollte?

Filz und Fett spielten später als seine Hauptmaterialien noch einmal eine Rolle, auch anekdotisch. Man denkt zurück an den Hausmeister (nicht: Putzfrau), der neun Monate nach Beuys' Tod in der Düsseldorfer Akademie das Kunstwerk "Fettecke" wegwischte. Und an die beiden Damen aus dem SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath, die bereits 1973 eine mit Heftpflaster und Mullbinden versehene Badewanne des Künstlers im Leverkusener Museum Morsbroich gereinigt hatten, um darin Getränke für ein Fest zu kühlen. In beiden Fällen zog der unbeabsichtigte Kunstfrevel Schadenersatzzahlungen in Höhe von jeweils 40 000 D-Mark nach sich – und schärfte den Blick dafür, dass Kunst auch sein kann, was nicht so aussieht.

(RP)
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