Düsseldorf Vor 100 Jahren geboren: die Autorin Luise Rinser

Düsseldorf · Es gibt nicht so viele Autoren, derer zum 100. Geburtstag so lebhaft und kontrovers gedacht wird wie Luise Rinser (1911–2002). Doch nicht das literarische Werk ermuntert zum Disput; das wird seit einigen Jahren kaum noch wahrgenommen. Vielmehr sind die jungen Jahre einer Autorin verstärkt ins Blickfeld geraten, die im Nachkriegsdeutschland als unbestechliche Streiterin für eine gerechte Welt galt und gar mit dem moralischen Ehrentitel einer "Prophetin der Verweigerung" bedacht wurde. Die aber war in der Zeit des Nationalsozialismus wohl doch nicht so zweifelsfrei gut und gerecht, wie sie es selbst in der Rolle der unbescholtenen Vorzeige-Deutschen stets und oft behauptet hat.

Wahr ist, dass die Nazis sie im Oktober 1944 wegen Wehrkraftzersetzung inhaftierten. Doch die junge Frau, die man einsperrte, hatte nicht immer in so kritischer Distanz zum Regime gestanden. Immerhin war sie im so genannten Dritten Reich Ausbilderin im Bund deutscher Mädel (BDM) und sprach dort auch über die "Züchtung gesunder Menschen". Als Verirrungen eines jungen Menschen kann das nur schlecht durchgehen: Luise Rinser war damals 23 Jahre alt.

Diese Nähe mit dem Ungeist ihrer Zeit hat sie selbst in Worte gefasst – etwa in dem 1935 erstmals publizierten Hitler-Huldingungsgedicht "Junge Generation". Es ist darin die flammende Rede von "des großen Führers verschwiegene Gesandte" – sowie: "Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich / Wir sind Deutschlands brennendes Blut". Mit einem Schreibverbot ist Luise Rinser nie belegt worden; auch hatte sie unter den Nazis finanziell wenig Sorgen. Beides hat sie später freilich, in bundesrepublikanischen Zeiten, anders dargestellt.

Rinsers Texte aus der Zeit des Nationalsozialismus sind keine Neufunde zum 100. Geburtstag. Sie sind längst bekannt, wurden aber eher am Rande eines Lebens behandelt, das für etliche Menschen tadellos bleiben sollte. Für die vielen Leser ihrer Romane wie "Mitte des Lebens" oder "Der Sündenbock", die in über 20 Sprachen übersetzt wurden; für die Frauenbewegung, die in der Autorin eine streitbare Kämpferin für die Emanzipation fanden; schließlich für politisch Engagierte wie den Grünen, die Rinser 1984 für das Amt des Bundespräsidenten vorschlugen. Ins Bewusststein sind die frühen Jahre der Autorin jetzt wieder durch die neue Biographie von Jose Sanchez de Murillo gekommen, an der auch ihr Sohn mitgearbeitet hat. Er sei, sagt Christoph Rinser heute, "ganz naiv von dem ausgegangenen, was meine Mutter mir erzählt hat". Das neue Bild der Mutter anzuerkennen, sei für ihn nicht sehr schön gewesen – und nicht sehr einfach.

Info J. Sanchez de Murillo: "Luise Rinser". S. Fischer, 464 Seiten, 22,95 Euro

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort