Von wegen "Polnische Wirtschaft" - Nach-Wende-Bilanz

"Der Neoliberalismus war wie ein funkelnder Expresszug, der Wachstum und Wohlstand versprach", erklärt Philipp Ther. Dieses Bild ist beispielhaft für sein ganzes Buch: lebendig, anschaulich und interessant. Ther zieht eine Bilanz des Wirtschaftens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks. Es gehört zu den vielen Überraschungen, dass er auch weiter zurückgeht und an vielen Beispielen erzählt, dass die Voraussetzungen für das neue kapitalistische System schon zu Zeiten der kommunistischen Regierungen geschaffen wurde. Immer wieder erwähnt der Autor hier Polen, wo sich Hunderttausende von Selbstständigen das Rüstzeug für ihr späteres Unternehmertum zulegten. Diese praktischen "Managementseminare" haben die DDR-Bürger nicht genossen. Hier sieht Ther einen der Gründe, warum der deutsche Osten nach dem Mauerfall nicht so schnell auf die Beine kam wie Polen. Beinahe genüsslich erwähnt er, dass die DDR-Regierung die Zustände im östlichen Bruderland als "polnische Wirtschaft" beschimpfte.

Überhaupt pflegt der Autor eine frische unakademische Sprache. Als junger Mann war er oft in den Ländern des damaligen Ostblocks unterwegs und hat viel über die wirtschaftliche und persönliche Situation der Menschen gelernt. Seine genaue Beobachtung der Entwicklung von Damals ins Heute über die Revolutionen von 1989/90 und der darauf folgenden Umbauzeit macht dieses Buch spannend.

Wie kann man den langen Weg von zwei dutzend Ländern aus zwei ehemals grundverschiedenen Systemen über 25 Jahre verständlich beschreiben? Philipp Ther löst die Aufgabe pfiffig. Er verzichtet darauf, alles erklären zu wollen, er sucht aussagekräftige Ereignisse, die aufzeigen, was warum wie wurde. Viele Erkenntnisse können die Leser auch aus den vielen direkten Vergleichen zwischen Ländern und Regionen gewinnen. Philipp Ther lässt sich nicht von funkelnden Fassaden blenden und erkennt dahinter die dunklen Schatten. Er will nicht, dass sich die Gesellschaften der EU weiter auseinanderentwickeln, und er will die Zukunft nicht "den Märkten" überlassen. Vorsicht vor dem rasenden Expresszug.

Philipp Ther: "Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent - Eine Geschichte des neoliberalen Europa". Suhrkamp, 300 S., 26,95 Euro.

(RP)
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