Neue Serie bei Netflix Warum trägt Robbie Williams ständig nur Unterhose?
London · In einer Doku-Serie gewährt der Popstar Einblick in die Abgründe des Ruhms. Man hört ihm gerne zu, fragt sich aber doch: Warum trägt der 49-Jährige immerzu bloß Unterhose?
Für Popstars gehört die eigene Doku-Serie inzwischen so fest zum Vermarktungsschema wie das T-Shirt oder der Plastikbecher mit Konterfei bei Konzerten. Und obwohl das Genre der inszenierten Lebenserzählung noch jung ist, gibt es bereits einige Regeln, von denen die wichtigste lautet: Je schlechter es dir geht, desto besser fürs Produkt. Der Film über Selena Gomez war eine dicke Krankenakte, man konnte das kaum ohne feuchte Augen zu Ende bringen. Ed Sheeran, das weiß man seit kurzem, ist auch nicht glücklich und „struggelt“ ganz schön - zum Glück hat er die Musik, sein Anwesen und Cherry, seine Jugendliebe. Von der legendären Reihe über Justin Bieber bleibt vor allem die allabendliche Szene in Erinnerung, in der seine Frau Hailey ihm eine gute Nacht wünscht und zärtlich den Reißverschluss seines Sauerstoffzelts schließt. Nun ist „I Am Robbie Williams“ erschienen, eine vierstündige Therapiesitzung, die der 49-Jährige selbst „Traumagespräch“ nennt und zumeist in Unterhose absolviert. Das Motto: „I was in Take That, then i got real fat.“ („Ich gehörte zu Take That, dann wurde ich sehr fett.)
Vier Episoden gibt es bei Netflix, und die Versuchsanordnung, die Regisseur Joe Pearlman präsentiert, ist ausgesucht schräg. Robbie Williams liegt daheim in seiner Villa in Kalifornien, meist im Schlafzimmer, aber manchmal auch im Wohnzimmer. Er trägt Unterwäsche (vielleicht als Symbol dafür, dass er seelisch blank zieht) oder einen extralangen und weich fließenden Gucci-Cardigan. Und er bekommt Backstage-Material aus 30 Jahren Karriere auf den Computer gespielt. Williams sieht sein Leben im Rückspiegel, und weil das nahezu ausschließlich Aufnahmen des jungen Williams sind, in denen er entweder voll drauf oder voll daneben ist und es auch keine anderen Gesprächspartner oder Kommentatoren gibt, sagt der alte Williams Sätze wie diesen: „Ich sehe zu, wie jemand einen Nervenzusammenbruch bekommt.“ Oder: „Man sollte das eigentlich erst tun, wenn man vor Petrus am Himmelstor steht.“ Und: „Irgendwo da drin ist ein zerbrochener Teenager, der versucht, die Trümmer der Vergangenheit aufzuräumen.“
Es ist unklar, ob das für Williams Folter oder Katharsis ist, jedenfalls schaut ihm das Publikum fasziniert über die Schulter und bekommt eine Erzählung präsentiert, die davon handelt, wie ein 16 Jahre alter Schulabbrecher aus Stoke On Trent das jüngste Mitglied einer Boyband wird, enormen Erfolg hat, Drogen nimmt und an Ruhm und Sucht zerbricht. Einmal tritt Williams’ Tochter ins Zimmer und fragt, was kleine Kinder halt so fragen: „Wen hast Du am meisten gehasst?“ Williams geht in Gedanken kurz alle Mitglieder von Take That durch und antwortetet mit faszinierender und didaktisch leicht übermotivierter Ernsthaftigkeit: „Gary.“
Gary Barlow war der Songschreiber-Streber bei Take That, ihn mochte Williams nicht, aber er entschuldigt sich vor laufender Kamera dafür, dass er ihn schlecht behandelt habe. Überhaupt ahnt man während dieser Sitzungen, dass sie auch dazu dienen, reinen Tisch zu machen. Williams’ Ex-Partnerinnen werden verbal geherzt, Nicole Appleton von der Band All Saints etwa und Geri Halliwell von den Spice Girls. Auch für seinen früheren Songschreiber Guy Chambers gibt es warme Worte.
„I Am Robbie Williams“ ist das Gegengift zur glamourösen Happiness der aktuellen Doku-Reihe über David Beckham. Während der schweigsame Ex-Fußballer über die Täler der Vergangenheit hinweggdribbelt und lieber die schönen Momente volley nimmt, gräbt sich der redselige Williams tief in die Depression. Die drei Tage, an denen er vor 365.000 Fans in Knebworth bei London auftrat, sind denn auch keine Feier, sondern der Höhepunkt eines allumfassenden Einsamkeitsgefühls. Eine unüberschaubare Menschenmenge stand da vor der Bühne und sang „Angels“, pflückte ihm den Song aus dem Mund und reichte ihn zurück. Er stand da und heulte. „Die Vergangenheit hat mich immer noch im Schwitzkasten“, sagt Williams.
So blickt man beklommen auf Retro-Material von Take That und auf den Kerl, der die 1990er und 2000er Jahren mit Sarkasmus würzte und von dem man immer annahm, dass er das alles bestens verpackt. Sein Glück ist nun, dass er in Amerika keinen Erfolg hatte. Man sieht ihn bei früheren Versuchen, es auch dort zu schaffen, man ahnt bei den kleinen Konzerten, die er dort gab und bei den speed-date-artigen Interviews mit Journalisten, dass da zwei Welten aufeinander trafen. Amerika konnte Zuflucht werden, es bietet Anonymität für ihn, seine „liebende Frau und die vier Kinder“.
Eine der schönen Szenen dieses Reiseberichts ins Wohlstandselend ist jene in Südfrankreich, in der Robbie Williams seinem Songwriting-Partner Guy Chambers vor mehr als zwei Jahrzehnten beiläufig einen Vers vorsingt, den er eben für Geri Halliwell geschrieben hat. Er singt ihn auf einem Plastikstuhl am Pool, und er geht so: „You were there for summer dreaming and you gave me what I need.“ „Das ist schön“, entgegnet Chambers und führt die Melodie auf der Gitarre fort.
„Eternity“ erreichte Platz eins der englischen Charts.