Düsseldorf Vom Theater zum Dortmund-Tatort

Düsseldorf · Anna Schudt hat mehr als 20 Jahre in München auf der Theaterbühne gestanden. Jetzt wird sie Kommissarin im neuen Dortmund-Tatort und ist nach Düsseldorf gezogen. Von dort aus wird sie künftig im Ruhrgebiet ermitteln – und möchte auch wieder Theater spielen. Eine Begegnung.

Sie wird bald Martina Bönisch heißen und in einer Stadt arbeiten, die sie lieber durch das beschreibt, was sie nicht ist: nicht lieblich, nicht grün, nicht idyllisch. Dortmund – dort wird Anna Schudt als "Tatort"-Kommissarin demnächst ermitteln. Morgen hat sie ihren ersten Drehtag. "Eigentlich gibt es die Figur also noch gar nicht, sie hat noch kein Wort gesprochen", sagt Schudt. Doch in ihrem Innern lebt Martina Bönisch bereits. "Ich weiß schon, wie sie sich bewegt, wie sie sich kleiden wird", sagt Schudt, "sie wird ein recht männlicher Typ".

Dass sie die Rolle bekommen würde, erfuhr Anna Schudt schon vor einem Jahr. Man hat sie angefragt, durch ein Vorsprechen musste sie nicht. "Dann hätte ich die Rolle sicher nicht gekriegt", sagt Schudt, "ich bin furchtbar schlecht bei Castings." Manchmal sagt sie solche Sätze, stellt die Selbstkritik einfach in den Raum. Unerschrocken. Uneitel. Seit sie von der neuen Rolle weiß, hat sich Schudt regelmäßig mit ihrem künftigen Ermittlerkollegen Jörg Hartmann und der Produzentin des Dortmund-Tatorts getroffen und ihre Figur entwickelt. "So viel Vorlauf ist natürlich Luxus", sagt Anna Schudt, die diese Ruhe, diese Ensemblearbeit sonst bei Fernsehproduktionen immer vermisst.

Sie kommt doch vom Theater, hat knapp 20 Jahre in München auf der Bühne gestanden. "Ich bin eine extrem konservative Theaterschauspielerin", sagt sie, "ich liebe die Sprache, ich liebe die Auseinandersetzung mit Rollen, mag es, Texten nachzuspüren und Figuren in Ruhe zu erarbeiten. Ich spiele nicht gern in Bruchstücken, abstrakt, intellektuell." Was Schudt Konservatismus nennt, passte nach München. Dieter Dorn holte sie 1994 an die Kammerspiele und als er ans Residenztheater wechselte, ging Anna Schudt mit. Ihr Versuch, nach Berlin an die Schaubühne zu wechseln scheiterte hingegen. Eine glücklose Verbindung von Anfang an sei das gewesen, sagt sie. "Die Idee, im Kollektiv Theater zu machen, passte nicht zu mir. Ich will keine Dramaturgensitzungen mitmachen, diese Art von Arbeit hat mich ganz schwach gemacht", sagt Schudt. Sie hielt zwei Spielzeiten durch, dann brach sie den Versuch ab, ging zurück nach München.

Schroffe Entscheidungen hat sie schon häufiger getroffen in ihrem Leben. 2006 etwa übernahm sie eine Hauptrolle in der ZDF-Serie "Der Kriminalist". Doch dann wurde sie nicht richtig gefordert – und kündigte den sicheren Job nach einer Staffel. Man spürt ihre Entschlossenheit, wenn sie davon erzählt, eine Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.

Mit dieser gesunden Sturheit hat sie ihre Karriere auch begonnen. Sie war erst 16, als sie sich das Theater in den Kopf setzte und von ihrem Dorf nahe Konstanz nach München zur Schauspielschule fuhr, um sich zu bewerben. "Die haben mir dann zwar geraten, ich solle doch erst mal das Abitur machen, aber ich habe gesagt, dass das doch meine Entscheidung ist und ich nun mal Schauspielerin werden will." Sie hat die Entscheidung für den Beruf, gegen die Schule nie bereut. Und ihre Familie ließ sie machen. "Meine Eltern hätten auch Künstler werden können, aber zu ihrer Zeit wurde man nicht Schriftsteller oder Schauspieler. Meine Schwester und ich hatten die Freiheit und haben sie genutzt." Anna ging zum Theater, die Schwester wurde Bühnenbildnerin.

Allerdings gibt es Seiten an ihrem Beruf, die Anna Schudt anstrengend findet. Etwa, dass Theaterdarsteller nie Ferien, Wochenenden, Feiertage planen können. Als ihr erstes Kind in die Schule kam, passte ihr das nicht mehr, und sie kündigte am Residenztheater in München. "Ins Blaue hinein", sagt sie und lächelt. Damals begann sie, vor der Kamera zu arbeiten. Ihre Liebe sei das nicht gewesen und am Anfang habe sie gar nicht begriffen, dass sie vor der Kamera keine großen Gesten machen müsse. Doch dann entdeckte sie das minimalistische Spiel. "Durch die Kamera kann der Zuschauer einen ganz intim beobachten", sagt Schudt, "das ist natürlich sehr reizvoll, wenn man das erst mal begriffen hat."

Schudt kam schnell ins Geschäft, spielte in Kinofilmen, etwa in Petzolds "Gespenster" und in vielen Fernsehproduktionen. Sie gehörte zu den Schauspielern, die so gut spielen, dass man sich irgendwann ihr Gesicht merkt – diese manchmal kesse Miene mit der leicht stupsigen Nase. Oft hat sie in Krimis gespielt, dem deutschen TV-Genre, wenn auch meist nicht als Kommissarin. "Eigentlich sind ja die Opfer- und Täterrollen auch viel interessanter", sagt Schudt, "die Kommissare machen ja immer dasselbe." Trotzdem hat sie sich jetzt für den "Tatort" und damit für eine Ermittlerrolle entschieden. Nicht nur, weil sie damit in die erste Garde der TV-Darsteller aufsteigt, sondern weil sie die Figur mit langem Atem entwickeln kann.

Kurz vor Drehbeginn ist Anna Schudt nun auch in die Region gezogen – nach Düsseldorf. Dort lebt ihr Mann, Moritz Führmann, der zum Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses gehört. Die beiden haben vor einem Jahr einen Sohn bekommen. "Da ist es natürlich angenehm, dass ich nun in der Nähe drehe", sagt Schudt.

Doch das Theater vermisst sie. Vielleicht werde sich ja in Düsseldorf mal etwas für sie ergeben, sagt sie und lächelt wieder. Vor zwei Jahren hat sie bereits am Schauspielhaus gespielt. Sie übernahm die Hauptrolle in "Anna Karenina". Damals war Düsseldorf schon eine Stadt, von der sie sich willkommen fühlte, sagt sie. Doch Bayern vermisst sie. "München war mein Zuhause, jetzt baue ich mir in Düsseldorf ein neues", sagt Anna Schudt. Und mit Martina Bönisch wird sie Dortmund entdecken. Ab Herbst kann man sich das ansehen, immer sonntagabends, wenn Deutschland sich zum "Tatort" versammelt.

(RP)
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