Aachen Virtuose "Carmen" in Aachen

Aachen · Kazem Abdullah tritt am Theater Aachen in große Fußstapfen. Sein Vorgänger als Generalmusikdirektor, Marcus Bosch, hatte Orchester und Musiktheater in den zehn Jahren seiner Regentschaft aus dem Dornröschenschlaf geweckt und landesweite Aufmerksamkeit geweckt. Nun betritt also der Neue, 33-jährig, Amerikaner aus Ohio, eher schüchtern die Bühne nach der Premiere von Bizets "Carmen" und wird bejubelt.

Abdullah hat ordentlich zugelangt bei seiner ersten Musiktheaterarbeit: Das Tschingderassabum der Ouvertüre, die Ohrwürmer der Carmen-Partitur führt er zu grandioser Wirkung. Da fliegen im Blech und Schlagwerk die Fetzen, bei den Streichern glühen die Drähte, es rauchen die Fingerkuppen. Das große Chor-Tableau zur Stierkampf-Szene im letzten Akt gerät fulminant, mit großer Wucht strebt die Tragödie des Zigarettenmädchens dem tödlichen Ende zu. Doch Abdullah kann auch leise. Oder virtuos. Dann knistert die Spannung im Holz und bei den Geigen, zackig, äußerst präzise und in festem, bisweilen atemberaubendem Tempo rauscht die Musik vorüber. Vitalität allüberall.

Regisseur Michael Helle, Ausstatter Hartmut Schörghofer und Kostümbildnerin Renate Schwietert bevorzugen den eher kühlen Ausdruck. Die Bühne beharrt auf Sachlichkeit. Wenig Requisiten, viel Platz zum Spielen. Nichts da mit Zigeuner-Folklore, Lagerfeuer-Romantik oder bluttriefender Stierkampf-Show. Torero Escamillo ist eher ein smarter Geschäftsmann im weißen Sakko, dennoch für den Hünen Don José ein rotes Tuch. Carmen ist ganz schön verrucht, ein Rasseweib in knappen, schwarzen Dessous, eine von Sehnsucht nach Liebe und Freiheit berauschte moderne Frau. Glaubhaft ist das, wenn auch nicht so unmittelbar wahr wie bei Helles letzter Aachener Arbeit, Mozarts "Figaro".

In Aachen wird sehr achtbar gesungen. Jon Ketilsson als Don José besitzt einen schweren, in der Höhe sicheren, edelmetallischen Tenor. Er ist Gast ebenso wie der Bariton Sam Handley, der den Escamillo facettenreich anlegt. Sanja Radisic betritt als Carmen für sie neue Gefilde, wunderbar französisch färbt sie die glühende Partie ein. Katharina Hagopian als Micaela findet im Schlussakt zu betörenden Farben.

(RP)
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