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Viersen: Ovationen für Jazzer

Wer hätte das gedacht? Da kommt ein junger Sänger aus England, den hierzulande kaum jemand kennt, zum ersten Mal in seinem Leben nach Deutschland und hat eine schwierige Aufgabe. Er muss beim Jazzfestival Viersen einspringen für den erkrankten Roger Cicero. Einen Star also, der mit seinem deutschsprachigen Swing nicht nur die Viersener Festhalle, sondern auch größere Hallen füllt. Und was erwartet Alexander Stewart, den jungen Mann aus Manchester, am Niederrhein, dort, wo man eigentlich jemand anderen hören will? Ein ausverkaufter Saal und ein Publikum, das ihm zujubelt, das vor Begeisterung trampelt und zum Schlussapplaus geschlossen aufspringt.

Was den erst 24-jährigen Balladensänger alter Schule auszeichnet, sind eine warme, wohlklingende und intonationssichere Stimme sowie eine erstaunliche Souveränität. Durch seine persönliche Interpretation gelingt es ihm, eigene Songs, Jazz-Standards, Soul-Klassiker von Ray Charles und Popsongs von den Beatles, Paul Simon oder Stevie Wonder zu einem Programm zu verschmelzen, das wirkt wie aus einem Guss. Gut, dass die Festivalmacher Stewarts aktuelle Single, den Blondie-Hit "Call Me", wörtlich genommen und ihn zwei Wochen vor dem Konzert angerufen haben.

Eine weitere Premiere war das Konzert des einst von Stefan Raab für den Eurovision Song Contest gecasteten Max Mutzke, der in Viersen die Tour zu seinem ersten Jazz-Album startete. Doch eigentlich ist das, was Jeff Cascaro, der ebenfalls beim Festival auftrat, und er machen, nach wie vor dem Soul zuzurechnen. Eine Brücke zum Jazz schlug die WDR Big Band unter Chefdirigent Michael Abene, der dieses Mal auch an Flügel und Fender Rhodes die Tasten bediente, mit einem Programm, das dem Altsaxofonisten Julian "Cannonball" Adderley (1928-1975) gewidmet ist — auch das eine Premiere.

Mit den amerikanischen Gästen Dick Oatts (Altsaxofon), Terryl Stafford (Trompete) und Peter Erskine (Schlagzeug) sowie der Arrangierkunst Abenes gelang es ihnen, die Vielseitigkeit eines Musikers zu würdigen, der nicht nur funky Soul-Jazz-Nummern spielen konnte, sondern auch ein hervorragender Balladeninterpret war.

Das Trio "Rusconi", das mit seinem kraftvollen Mix aus Jazz und Noise kleinere Clubs zum Bersten bringt, konnte die Festhalle nicht ganz füllen. Gleich zu Beginn traten die Schweizer mit einem Stück von "Sonic Youth" eine Soundlawine los, die einige Hörer verschreckte. Vielleicht bleibt Experimentelles den Nebenbühnen vorbehalten.

Für den heimlichen Höhepunkt sorgte nicht etwa ein Musiker, sondern ein Schauspieler: Friedrich von Thun. Begleitet vom Max Neissendorfer Trio las er "Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten" von Alessandro Baricco. Diese anrührende Geschichte über Musik, Leidenschaft und Freundschaft gab auch eine Antwort auf die Frage: Was ist Jazz? "Wenn du nicht weißt, was es ist, dann ist es Jazz."

(RP)
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