Vier Mondrians und ein Todesfall

Um vier Bilder aus der Sammlung des Kaiser-Wilhelm-Museums tobt ein Erbstreit: Ein Anwalt beansprucht die Werke Piet Mondrians für seine Klienten in den USA. Das Krefelder Museum möchte die Bilder nicht herausgeben - und stellt sie zurzeit aus.

Es könnte die letzte Gelegenheit sein, vier wertvolle Bilder Piet Mondrians in Deutschland zu sehen. Das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld zeigt bis 14. Oktober Arbeiten des populären Malers der Klassischen Moderne - sehr zum Ärger des Berliner Anwalts Gunnar Schnabel, der die Interessen der Erben des US-Amerikaners Harry Holtzman vertritt. Holtzman war der beste Freund des 1944 in New York City gestorbenen Künstlers und Alleinerbe von dessen Nachlass. Holtzmans in den Vereinigten Staaten lebende Witwe und deren Kinder fordern nun die Rückgabe von vier Bildern Mondrians aus dem Besitz des Krefelder Museums und eine Entschädigung für vier weitere Mondrian-Bilder, die der frühere Museumsdirektor Paul Wember unberechtigt zu Geld gemacht haben soll.

Nach Recherchen Schnabels hat Wember in den 1950er Jahren die Bilder veräußert, um Geld für Ankäufe zu erhalten. Der Berliner Jurist hat dazu die Korrespondenz zwischen dem Bremer Kunsthändler Michael Hertz und Wember ausgewertet. "Die Darstellung der Stadt Krefeld, dass Wember vier Mondrian-Bilder gegen grafische Blätter unter anderem von Pablo Picasso, Joan Miro, Georges Braque und Henri Matisse getauscht hat, lässt sich nicht mehr aufrecht erhalten", erklärt Schnabel. Die Stadt sei auch nicht in der Lage, Tauschverträge oder andere Belege vorzulegen.

Wember habe vielmehr die Malereien Mondrians an unbekannte Käufer veräußert, auf diese Weise Bargeld bekommen, um eine schwarze Kasse zu führen, mit der er Arbeiten fürs Museum erworben habe, meint Anwalt Schnabel. Dafür gebe es Rechnungsbelege aus dem Nachlass des Kunsthändlers. Interessant sei, dass die gekauften grafischen Blätter zwar im Inventarbuch des Krefelder Museums dokumentiert seien, aber die Wertangaben nicht mit den Kaufpreisen übereinstimmten. "Die Werke sind mit höheren Preisen versehen", sagt Schnabel. Wo die Differenz der Beträge verblieben ist, sei ungeklärt. Nicht auszuschließen sei, dass Wember das Geld für sich behalten habe. Die falschen Einträge im Inventarbuch des Kaiser-Wilhelm-Museums seien eine Urkundenfälschung, meint der Berliner Jurist und hält das Vorgehen der Verantwortlichen in Krefeld für einen "einzigartigen Affront" gegen die US-Erben. Es sei weltweit verpönt, Diebesgut auszustellen, kritisiert er die aktuelle Ausstellung mit dem Titel "Von der Idee zur Form. Domeau & Pérès: Dialog zwischen Design und Handwerk", in der die vier verbliebenen Mondrian-Bilder präsentiert werden. Eine öffentliche Präsentation "strittiger Kunstwerke" sei bislang allerorten vermieden worden. Die Stadt Krefeld geht davon aus, dass sich die Bilder rechtmäßig im Besitz des Museums befinden. Beweise dafür kann sie nicht vorlegen. Es existieren weder Kaufverträge noch Schenkungsurkunden. Das räumt die Stadt offen ein. Bei dem Fall handelt es sich auch nicht um sogenannte Nazi-Raubkunst. Die Ölbilder Mondrians sollen im Jahre 1929 im Zuge eines geplanten Ausstellungsprojekts vermutlich aus Frankfurt am Main nach Krefeld gekommen sein. Offenbar gut behütet haben die Werke "entarteter Kunst" den Zweiten Weltkrieg überstanden. Erst in den 1950ern seien sie im Museums-Depot entdeckt und entsprechend inventarisiert worden. Krefeld hat sich in der Sache juristischen Bestand bei dem Berliner Experten Peter Raue gesucht. Der Rechtsanwalt sieht die Stadt bei einer Klage in Deutschland auf der sicheren Seite. Ein Anspruch auf Herausgabe der Werke Mondrians an die Erben sei verjährt, erklärte er unlängst. Für eine Klage in den USA habe sich die Stadt die Dienste einer Partnerkanzlei Raues vor Ort gesichert, berichtet ein Stadtsprecher.

Ein Jura-Professor aus Krefeld hält das für zu kurz gesprungen. Der Fall biete viele Facetten, sagt Michael Schulte, der vom sächsischen Justizministerium als Prüfer für Zivilrecht und Zivilprozessrecht berufen worden ist, und er bleibe für die Stadt Krefeld problematisch. Auch wenn der Anspruch auf Herausgabe der Bilder verjährt sei, bleibe der ungeklärte Eigentumsanspruch. Denn das Eigentumsrecht verjähre nicht. Das bedeute, dass das Kaiser-Wilhelm-Museum die Bilder weiter zeigen und auch verleihen dürfe. Die Stadt müsse aber dafür Sorge tragen, dass kein Schaden an den Bildern entstehe. Bei einem Verkauf der Mondrian-Bilder oder einem versicherten Brandereignis müsste die Stadt Krefeld trotz Verjährung den Erlös beziehungsweise die Versicherungsleistung an die Erben als Eigentümer herausgeben.

Wer tatsächlich Eigentümer sei, lasse sich durch eine Feststellungsklage herausfinden, sagt Schulte. Offenkundige Zielsetzung sei es, den Bildern einen Makel anzuhaften und den Wert der Bilder herabzusetzen. Ob die Erben, die auf eine Abfindung aus seien, tatsächlich klagen würden, sei bei Prozesskosten in Höhe von mehreren Millionen Euro sehr fraglich. Schultes Quintessenz: Es gehe rechtlich also nicht um Verjährung, sondern um das Eigentum. Und wirtschaftlich darum, dass sich die Kommune nicht erpressen lasse, sondern diesem Spuk ein rasches Ende bereite. Übrigens: Der Fall Mondrian soll Lehrfall und Klausurthema für Kandidaten des Zweiten Staatsexamens in Sachsen werden. In dieser Angelegenheit herrsche im Krefelder Rathaus weder Hektik noch trügerische Sicherheit, betont der Sprecher der Stadt. Die Verantwortlichen haben keinen Anlass zu glauben, dass sie die Bilder unrechtmäßig besitzen. Sie wollen eine Provenienzforschung in Auftrag geben, um die Umstände der Herkunft wissenschaftlich zu ergründen.

Niemals habe Mondrian acht seiner Werke verschenkt, behauptet hingegen Anwalt Schnabel. Das sei allein schon durch dessen lebenslange Praxis widerlegt. Noch sind die Türen zwischen den Parteien nicht zugeschlagen. Bei dem Streit geht es laut Schnabel um einen Wert von 300 Millionen Euro. Der Anwalt hat den früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann um Hilfe ersucht. "Ich hoffe, dass es mit dessen Unterstützung noch zu einem vermittelnden Gespräch kommt", erklärt Schnabel. Anderenfalls dürfte er versuchen, die Klage in den USA einzureichen. Dafür hat er angeblich die besten Experten zur Seite.

Die vier Gemälde sind im Format eher unspektakulär. Das kleinste, "Tableau N XI", misst 38,5 mal 34,5, das größte, "Tableau N X" 49 mal 42,5 Zentimeter. Ihr Stellenwert in der Kunstgeschichte ist ungleich größer. Sie entstanden in den 1920er Jahren, als Mondrian (1872-1944) sein Atelier in Paris hatte. Der Maler hatte gerade die Einflüsse des Fauvismus von van Gogh und des Kubismus von Pablo Picasso hinter sich gelassen und eine neue Stilrichtung geprägt: den Neoplastizismus. In den geometrischen Farbflächen spiegelt sich sein Verständnis einer harmonischen Ordnung. Er sah den Zweck der Kunst erfüllt, wenn sich "die Harmonie um uns wie im äußeren Leben" realisiere, sagte er. So bilden Linien und Farbfelder stets ein stabiles Gleichgewicht. Mit Mondrian schlug die Kunst die Brücke vom Stil zum Lifestyle. Die Haarpflege von L'Oreal setzte in den 80er Jahren auf Mondriansche Farb-Block-Stilistik, und die White Stripes gestalteten so ihr Plattencover "De Stijl" (2000). Für zahlreiche internationale Ausstellungen haben die Krefelder die Bilder ausgeliehen, etwa an die Tate Liverpool. Auch in der laufenden Krefelder Schau erzählen sie von der gestalterischen Aufbruchstimmung der Moderne. Das Museum zeigt erstmalig die Designmöbel, die die Kunstmuseen von den französischen Herstellern Domeau & Pérès geschenkt bekamen. Der Polsterer Philippe Pérès und der Sattler Bruno Domeau verwirklichen Ideen von Designern der französischen Avantgarde. Der Grat zwischen Künstlern, Designern und Handwerkern ist in dieser Präsentation hauchdünn. Und die Wurzeln der Avantgarde legt Museumsdirektorin Katia Baudin mit geschickter Platzierung älterer Werke aus der Sammlung frei. Die Mondrian-Bilder fügen sich in Kombination mit einem Schreibtisch von Sophie Taeuber-Arp, einer namhaften Vorreiterin der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit Tischen aus Leder und Sesseln aus Metall.

(RP)
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