Düsseldorf Loriot würde heute 90 Jahre alt

Düsseldorf · Er durchschaute die Deutschen und mochte sie – Würdigung eines Komikers.

Er durchschaute die Deutschen und mochte sie — Würdigung eines Komikers.

Heute hätten wieder die Sektflöten auf dem Beistelltischchen gestanden neben dem viel zu großen Blumenstrauß. Und Loriot hätte in der linken Ecke auf dem grünen Sofa Platz genommen, hätte seine Oberstudienrats-Miene aufgesetzt, dieses ernste Gesicht mit dem feinen Lächeln, das man mehr spürt als sieht. Und dann wären wir in die Jodelschule gegangen, hätten den Erzherzog-Johann-Jodler mitdekliniert, hätten mit zwei beleibten Herren das Quietscheentchen zu Bade gelassen und schon "Jo-del-schnep-fe" gebrüllt, ehe Frau Hoppenstedt überhaupt "Winselstute" hätte rufen könne. Und es wäre wieder wohlig lustig geworden in den deutschen Wohnzimmern, wie immer, wenn Loriot runden Geburtstag hatte — und das Fernsehen ihm mit einer Extrasendung gratulierte.

Dieser Humorist durchschaute die Deutschen und hatte sie doch gern, er saugte seine Komik aus der Überkorrektheit des Spießers, aus der Verdruckstheit deutscher Liebhaber, aus dem ganzen Aneinandervorbeigerede von Eheleuten, der Phrasenrhetorik der Politiker, den Nichtdialogen in Fernsehinterviews. Und doch hat sich Loriot nie erhoben über seine Landsleute. Er fand all ihre ehrgeizige Unbeholfenheit so komisch, wie liebenswert. Darum war sein Witz nie schneidend, bitter, vernichtend — was auch seinen Reiz hat —, sondern sein Humor ist hellsichtig, entlarvend, aufklärerisch. Darum ist Vicco von Bülow der Gentleman der deutschen Komik. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden.

Zu Lebzeiten überließ das deutsche Fernsehen dem Erfinder der Knollennasen-Männchen zum Geburtstag stets ein Studio. Da schob Loriot dann sein grünes Sofa hinein, ließ Evelyn Hamann die Haare toupieren und kündigte an ihrer Seite in denkbar steifster Form neue Episoden aus seiner Zeichen- und Filmwerkstatt an. Da war Loriot, der am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren wurde, längst eine Marke, war vom Karikaturisten, der für Zeitschriften wie "Stern" oder "Quick" gezeichnet hatte, zum Chefkomiker der deutschen Fernsehunterhaltung und zum Filmemacher emporgestiegen.

Seine Figuren sind so treffend und doch so vielschichtig, dass sie auch durch längere Geschichten tragen. Da umwirbt dann "Ödipussi" Winkelmann wunderbar ungelenk das Fräulein Tietze oder der früh verrentete Pappa steht ante Portas und betritt Geschäfte im Auftrag seiner Gattin mit dem Satz: "Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein."

Es gibt unzählige solcher gewöhnlichen Sätze, die Loriot mit seiner ironischen Doppeldeutigkeit aufgeladen hat. So wurden sie zu goldenen Sentenzen kleinbürgerlichen Sprechens — und Denkens, zu Abbildern hiesiger Mentalität in Sprache. In diesen Zitaten lebt Loriot weiter. Mehr kann ein Komiker nicht erreichen.

(RP)
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