Verrückt in Salzburg

Doppelpremiere in Salzburg: Andrea Breth inszeniert Heinrich von Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" im Landestheater, Jens-Daniel Herzog (Regie) und Nikolaus Harnoncourt (Dirigent) verantworten Wolfgang Amadeus Mozarts "Zauberflöte" in der Felsenreitschule.

Salzburg Er fiebert, er krampft, sein Blick stiert ins Leere, sein Unterkiefer mahlt und malmt, über ihm hängt Pulverdampf, hinter ihm ächzen Baumstümpfe, in der Ferne wummert das Schlachtfeld – dies ist ein würdiger Moment, den Heldentod zu sterben. Aber nein, der Prinz von Homburg wird gleich erwachen, wie Kleist es diktiert. War nur ein Traum.

August Diehl erwacht allerdings nicht wirklich. Sein Prinz hat ein bisschen viel Quentin Tarantino geguckt, fällt aus der Abwesenheit gleich in Melancholie und springt dann in die Hysterie, er kommt nicht zu sich, alles an ihm ist übersteigert. Haben wir nicht gelernt, der Prinz sei lediglich der berühmteste Schlafwandler der dramatischen Literatur? Bei Andrea Breth ist Prinz von Homburg ein pathologischer Fall: ein Rasender. In die Glut seines Lebens wird er den ganzen Abend über Öl schütten, und am Ende dieses Rausches ist nichts mehr da, woran die Flammen nagen könnten. Homburg wird vollständig erloschen sein – und Andrea Breth glücklich, wieder ein Theaterstück mit überraschenden Krankenakten und Totenzetteln versehen zu haben.

Unschuldig und normal ist bei Kleists Titelhelden natürlich kaum etwas. Sagt der Prinz nicht selbst, er sei fortwährend "von Wundern umringt"? Ja, aber zum Genuss von Wundern braucht es Stille. Diehl ist aber weder still gefasst noch elegisch zerstreut, in ihm und aus seinem Mund brüllt es immerzu. Im Streit befällt er den Freund und beißt ihn wie ein Vampir, bis Blut aus dem Mund rinnt. Der Prinzessin Natalie drückt er einen Kuss auf den Mund, obwohl wir so weit noch gar nicht sind. Nun ja, der Prinz ist wahnsinnig verliebt, aber erklärt das diesen Verlust an Conténance?

Andrea Breth hat große, ja größte Schauspieler zur Verfügung, mit ihnen kann sie ihre Sicht auf Kleist kneten wie Gummi. Den Widerstreit zwischen der kühn-intuitiven Welt des Prinzen und der staats-moralischen Welt des Kurfürsten formt sie zur Schlacht zweier Charaktere: ruhig, wägend, gemessen, blasiert, überlebensgroß der Kurfürst von Peter Simonischek, dagegen schwitzend, aufbegehrend, unberechenbar, despotisch der Prinz von August Diehl. Doch das hier ist mehr als ein Konflikt der Haltungen, es berührt die Substanz – und bei diesem Prinz ist sie krank.

Zwischen den beiden Granden gedeiht nicht viel, auch wenn jenseits des Pulverdampfs die Bühne von Martin Zehetgruber ein heller Laborraum mit Wänden aus Plexiglas ist, in dem man jede Regung, jedes Zucken, jeden Seufzer sieht. Grandios allein das Gesicht von Udo Samel als Feldmarschall Dörfling: ein knitterndes Lächeln, das unendlichen Verdruss an dieser Welt ausdrückt; die ganze Bürde des Amtes hat diese müden Augen beschlichen und übermächtigt. Oder Hans-Michael Rehberg als Obrist Kottwitz, der die Wucht seiner Erfahrung im Heer und mit Menschen in seinen großen Monolog wuchtet, eine zornige, fraglos auch für die Galerie rezitierte Philippika an den Kurfürsten. An Simonischek prallt alles ab. Diehl aber saugt alles in sich auf und kotzt es gleich wieder aus, und das kann kein gutes Ende nehmen.

Der Abend dauert zweieinhalb Stunden ohne Pause, und selbstverständlich hat Andrea Breth keine Eile. Zwischendurch wird einem die Zeit etwas lang, weil sich ihr Kleist beinahe zelebriert, statt als bohrende Etüde über die Untrennbarkeit von Weltanschauung und Seelendrang abzulaufen. Aber auch der Zuschauer wächst an seinen Aufgaben, ebenso wie Pauline Knof als Prinzessin Natalie, die sich vom linkischen Mädchen zur mutigen Frau entwickelt; ebenso wie Andrea Clausen als Kurfürstin, die uns hinreißend vorführt, wie eine Adelige Fassung bewahrt, wenn existenzielle Nöte sie bekümmern.

Die größte Sorge nämlich, die alle umtreibt, gilt dem Prinzen. Und je mehr es auf den Schluss zugeht, desto unausweichlicher die Frage: Kann diesen Friedrich von Homburg überhaupt noch etwas retten? Wenn er am Ende ohnmächtig wird, erwacht er nur kurz, um sein berühmtes "Ist es ein Traum?" zu hauchen. Dann sinkt er – Breths finale Variante – vollends nieder, und Kottwitz deckt den Toten mit seinem langen Mantel zu. Das Publikum ist bewegt. Aber auch ein wenig erleichtert über die Gewissheit, dass dieser Prinz nicht wahnsinnig aus Attitüde oder Verdruss war.

Mit einer Ohnmacht beginnt ein weiteres Meisterwerk, in welchem ein Prinz ebenfalls vom Tod bedroht ist, bevor ihm nach langer Prüfung das Leben geschenkt wird. Aber das sind auch schon die einzigen Parallelen zwischen Kleist und Mozarts "Zauberflöte", der ersten Premiere der Salzburger Festspiele. Kleist ist gebrochene Welt und finstere Debatte, Mozart ist Kabinettstück mit Märchenanwandlung und Auffahrt ins musikalische Paradies. Leider hat Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus Wien wenig Lust, das fidele Brio der Ouvertüre über den Abend zu retten, er verfällt in unbegreiflichen Tiefsinn – kaum eine Arie, die er nicht mit hanebüchenen Tempoveränderungen sprengt; über Gebühr schleppen die Sprechtexte. Mit köstlichem, fröhlichem Volkstheater hat das wenig zu tun.

Dabei hat Regisseur Jens-Daniel Herzog von Mathis Neidhardt eine tolle Bühne gebaut bekommen: ein Erlebnisgebäude, das frontal den Arkaden der Felsenreitschule gleicht, aber in sich unendlich verschiebbar ist. Irgendwann ist klar, dass wir uns im Kabinett des Dr. Sarastro befinden, eines üblen Herrenmenschenparkaufsehers, der willige Zöglinge erzieht, Humanität predigt und Gehirne umprogrammiert. Der Mohr Manostatos sieht bereits aus wie Luciano Pavarotti. Am Ende ziehen es die beiden Paare Tamino/Pamina und Papageno/Papagena vor, mit vier Kinderwagen in die Bürgerlichkeit zu entschwinden, in der Zimmer wieder Zimmer sind und keine Gruften für Alpträume.

Wir hörten das vermutlich jüngste Mozart-Ensemble aller Salzburger Zeiten, das deutlich sympathischer wirkte als jede Vollversammlung von Hochglanzstars. Leuchtend schön die Pamina von Julia Kleiter, leicht und lyrisch der Tamino von Bernard Richter, gewandt der Sarastro von Georg Zeppenfeld. Mopperer und Meckerer werden sagen: Kennen wir alle nicht. Nun, bekannt ist Nikolaus Harnoncourt, aber der hat es diesmal eindeutig versemmelt.

(RP)
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