Mönchengladbach Verdi-Entdeckung am Niederrhein

Mönchengladbach · Mihkel Kütson dirigierte, Helen Malkowsky inszenierte Giuseppe Verdis kaum bekannte Oper "Stiffelio" im Theater Mönchengladbach. Das Werk von 1850 schildert einen Ehebruch in einem protestantischen deutschen Pfarrhaus.

Ehebruch, dem die Legalisierung winkt, macht keinen Spaß mehr. Dies ist, kurz gesagt, eine der Botschaften dieses spannenden Verdi-Abends. Eine weitere: Der Komponist besaß ein glänzendes Gespür dafür, welche seiner Opern beim Publikum vermutlich ankamen und welche nicht.

Seinem "Stiffelio" traute er wenig zu. Die Handlung spielt in einem protestantischen deutschen Pfarrhaus, und Sünden in den Mauern der Geistlichkeit waren fürs italienische Publikum nicht vermittelbar. Und weil das Phänomen der Frömmelei, die sich mit der Rache zu duellieren gedenkt, im Libretto von Francesco Maria Piave vorlaut nach vorn drängt, beschloss Verdi, sich ökonomisch zu verhalten. Er nutzte seinen "Stiffelio" als Versuchslabor, aus dem keine einzige ohrwurm-taugliche Melodie ans Tageslicht dringt. Aber es herrscht eine Kühnheit, die Verdi für viele seiner späteren Opern weidlich nutzen sollte.

Im Theater Mönchengladbach gibt es nun die rare Möglichkeit, diesen Verdi-Sonderling zu bestaunen. Man spürt förmlich, wie er mit dem Orchester experimentiert, wenn er plötzlich alle dunklen Farben der Streicher zu einem riesigen Chor zusammenzieht; wenn er Flöten wie aus freiem Fall in den Klang schießen lässt; wenn er das Blech mal rhythmisch, mal melodisch führt. Überhaupt herrscht viel wilde Lust an ungewöhnlichen Manövern: Einmal soll eine Arie von höchster Trauer und höchstem Schmerz künden, aber die Musik klingt so sprudelnd und unterhaltsam, als lasse der Sänger Badewasser ein. Gewiss wird auch in Verdis späteren Tragödien stets geschunkelt, aber hier erreicht es eine gewisse Schmerzgrenze. Anderswo ist die Musik von einer giftig anspringenden Rassigkeit, verwegen auch in ihrer Chromatik – man ist wahrhaft live dabei, wie ein Komponist hoch hinaus will. Dieses Ziel sollte er erreichen, allerdings in drei Opern in der unmittelbaren Nachfolge von "Stiffelio" – nämlich "Rigoletto", "Il trovatore" und "La traviata".

Gebastelt wird aber auch an dramaturgischen Bauplänen, und nicht immer sind die Ergebnisse plausibel (was auch daran lag, dass Verdi sein Werk vor der Uraufführung 1850 in Triest auf Druck der Zensurbehörden radikal umarbeiten musste). Die Titelfigur geriet so verwirrend, dass man gut versteht, dass sich die Pfarrersfrau Lina in einem unbedachten Moment einem gewissen Raffaele von Leuthold in die Arme warf. Der nun ist wie Stiffelio ein Tenor, kommt aber kaum zum Singen. In einem Duell unterliegt dieser Nebenbuhler, aber im entscheidenden Moment fühlt sich der Gehörnte, nämlich Stiffelio, unfähig, den entscheidenden Streich mit dem langen Dolch auszuführen. Einmal Pfarrer, immer Pfarrer. Dieser Racheakt wird vielmehr von Linas Vater vollzogen, dem alten Oberst Stankar, der im dritten Akt mit diesem Mord im verspäteten Affekt die allgemeine Verwirrung komplettiert.

Die Inszenierung von Helen Malkowsky arbeitet klug mit den Möglichkeiten des modernen Musiktheaters. Von Anfang an herrscht in der Gemeinde eine dumpfe, lauernde Atmosphäre, als befänden wir uns in einer der Milieuopern von Leo Janáek. Stiffelio kennt sich im Evangelium ebenso gut aus wie im Gebrauch von Brillantine fürs Haar. Der Kerl droht nur momentweise außer Kontrolle zu geraten, gibt am Ende jedoch wie umnachtet seiner Gemeinde den guten Spruch mit: "Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!" Ein makabrer Genietrick der Regie ist, dass Stiffelio dieses finale Orakel hinter einem Altar ausspricht, unter dem obere Gemeindemitglieder soeben den toten Raffaele versteckt haben.

Man darf staunen, wie prachtvoll das Gemeinschaftstheater die drei wichtigen Partien besetzen konnte. Michael Wade Lee ist ein tenoraler Strahlemann, der mit Schmiss und Schmelz alle Stolpersteine der Gefährdung aus dem Weg räumt, sogar in der von Verdi recht unangenehm gestalteten Höhe. Die Neigung des Komponisten, intensive Ausdruckswerte vorerst durch das Erreichen extremer Stimmlagen zu erreichen, behelligt auch die Partie der Lina, doch Izabela Matula singt sie famos: glänzend geführt in allen Lagen, schlank, leuchtend, nie klirrend. Publikumsliebling war Johannes Schwärsky, der an den Opa aus "Klimbim" erinnerte, vor allem wenn er sich nicht entscheiden konnte, ob er gegen seine Gegner mit dem Degen oder der Pistole vorgehen sollte. Dieser unentwegte Wechsel der Waffenart legte sich jedoch nicht ungünstig auf die Stimme. Michael Siemon war ein jungenhafter, vom Komponisten stiefväterlich behandelter Ehebrecher. Alle weiteren Partien und vor allem der akkurate, elastische Chor gaben keinerlei Anlass zum Tadel.

GMD Mihkel Kütson warf seine Energie gern und manchmal zu wuchtig in die Anfeuerung der Sänger und des Orchesters; die Niederrheinischen Sinfoniker fanden nach einigen Orientierungspannen, bei denen das Navi fürs Stück noch nicht eingeschaltet schien, zu opulenter, auch in solistischen Bereichen beachtlicher Form. Hinterher gab es fetten Beifall, den das Haus von sich aus beendete, indem es den Vorhang herunterließ. Auch dies ein sehr beachtlicher Vorgang.

(RP)
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