Urbanes Leben in der digitalen Moderne
Laternenmasten mit Strickschals, Parkbuchten mit Salatbeeten - in der Stadt tut sich was. Hanno Rauterberg beschreibt in "Wir sind die Stadt!" die neue Urbanität. Ein richtig fröhliches Pamphlet, ein Aufruf zur Kreativität. Begeistert führt Rauterberg den Pessimisten und Totengräbern der Stadtkultur ihre Irrtümer vor. In den letzten Jahrzehnten hätten Soziologen, Philosophen und sogar Städteplaner immer wieder die Stadt für tot erklärt. Rührend wirken hier auch die Rettungsversuche mit verkehrsberuhigten Zonen, Grünanlagen und verglasten Einkaufspassagen, die reale Erlebnisräume schaffen sollten.
Frappierend, dass erst mit Smartphone und Laptop das richtige Leben in die City zurückgekehrt ist. Es ist wie eine neue Variante des mittelalterlichen Grundsatzes "Stadtluft macht frei" - mit dem IPhone. "Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass viele Leute doch merken: Das Netz ist nicht alles. Dort kann man nicht riechen, nicht schmecken, man kann sich gegenseitig nicht berühren. Man hat auch keine Erfahrung von Menge, von Masse", schreibt Rauterberg.
Es ist vor allem das Spontane, das Ungeplante am neuen Lebensgefühl und seinen mannigfaltigen Ausdrucksformen, das den Autor so fasziniert. Man spürt durch das ganze Buch förmlich seine Freude darüber, dass ein scheinbar todkranker Patient so kraftvoll lebt und - im wahrsten Sinne des Wortes - erblüht. Denn die privat initiierten öffentlichen Pflanzaktionen sind wohl der deutlichste Beweis dafür, dass Bürger ihre Umgebung selber gestalten und die Betonödnis nicht mehr still erleiden wollen.
Der optimistische Grundton macht sein Büchlein lesenswert. Wo der Soziologe David Harvey in "Rebellische Städte" das kapitalistische System anklagte und die Lösung im Klassenkampf sah, setzt Rauterberg auf Gruppendynamik. Der Urbanismus von unten trete nicht machtvoll in Erscheinung, habe keine Lobby. Rauterberg sieht darin die Stärke. Denn der Wandel werde von allen gesteuert. Bald ist Fußball-WM, Zeit für Public Viewing. Miteinander feiern und vielleicht noch eine Bushaltestelle einstricken oder ein Salatbeet säen. Zusammenfinden im Internet und raus in die Stadt.
Hanno Rauterberg: "Wir sind die Stadt! Urbanes Leben in der Digitalmoderne." Suhrkamp, 157 S., 12 Euro