Kulturtipps fürs Wochenende Einmal Weltall und zurück

Oberhausen · Im Oberhausener Gasometer lässt sich wundersam die Erde von weit her betrachten. Sehr viel bodenständiger sind dagegen die beiden neuen und lesenswerten Romane von Orhan Pamuk und Rafael Seligmann.

 Das riesige Modell der Erde im frisch renovierten Oberhausener Gasometer.

Das riesige Modell der Erde im frisch renovierten Oberhausener Gasometer.

Foto: AP/Martin Meissner

Wollen Sie sich auch einmal wie Jeff Bezos fühlen, der steinreiche Gründer von Amazon? Das ist diesmal viel leichter getan als gedacht. Und obendrein günstiger. Denn einen Ausflug ins Weltall, den Jeff Bezos im vergangenen Jahr mit viel Aufsehen unternahm, kann man jetzt in überschaubarer Variante selbst erleben. Gewissermaßen ein Trip ins All für kleine Leute. Das heißt aber nicht, dass dieses Abenteuer nun weniger beeindruckend wäre.

Also gut, die Rede ist von der aktuellen Ausstellung im umfangreich renovierten Oberhausener Gasometer, die wirklich aufsehenerregend ist und uns einen unglaublichen Blick auf jenen blauen Planeten gewährt, den wir mehr oder weniger lapidar Erde nennen. Und die wurde für die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ gewissermaßen recycelt. Denn das 20 Meter große Modell der Erdkugel war schon in der Ausstellung „Wunder der Natur“ zu bestaunen; es wurde jetzt aber komplett überarbeitet und mit hochaufgelösten Satellitenbildern noch genauer projiziert.

Im riesigen, 100 Meter hohen Luftraum des Gasometers schwebt also die Kugel über uns, während wir auf dem Rücken liegend die Erde phantastisch kreisen sehen, Tag und Nacht erleben wir und werden dabei unmerklich still, bescheiden. Wie klein man selbst doch ist - und wie groß und faszinierend unser Planet.

Das riesige Modell ist nur ein Teil der Ausstellung, aber sicherlich der beeindruckendste. Man sollte sich viel Zeit nehmen, um diese Erscheinung auf sich wirken zu lassen. An etlichen anderen Orten der Schau und auf vielen Bildern lassen sich die Urgewalten unsere Erde betrachten, all die Naturphänomene sowie schließlich die für uns Menschen so unrühmliche Klimageschichte. Denn natürlich hat auch diese Ausstellung im Oberhausener Gasometer eine Mission: uns sensibel zu machen für den Planeten, auf dem wir leben und den wir aktuell Stück für Stück und wahrscheinlich sogar unwiederbringlich schädigen und in Teilen zerstören.

Info Gasometer Oberhausen, Arenastraße 11, 46047 Oberhausen; Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr; Infotelefon 0208-8503730

Zwei Bücher noch, die uns auch von Bedrohungen erzählen, allerdings sind es andere Gefahren und mit den Mitteln der Literatur auch anders präsentiert. Eins stammt vom türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und ist so aktuell, wie es Literatur gerade eben sein kann. Denn Pamuk erzählt von der fiktiven und erst einmal paradiesisch anmutenden Mittelmeerinsel Minger, auf der im Jahre 1901 die Pest ausbricht. Dafür machen die Türken die Griechen verantwortlich und die Griechen die Türken. Waren es nur die Händler aus Alexandrien, die die Pest einschleppten? Oder waren es Pilger aus Mekka? Man ahnt, dass solche Anschuldigungen nicht ohne Folgen bleiben und schließlich zu offener Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen führen. „Die Nächte der Pest“ ist ein Buch über den irrwitzigen Aberglauben, ein Buch über den Irrsinn eines übersteigerten Nationalismus - und schließlich ein Roman, der alles andere als historisch ist. Unbedingt lesen. Nicht nur, aber auch aus aktuellem Anlass.

Info Orhan Pamuk: Die Nächte der Pest“. Hanser, 396 Seiten, 30 Euro

Scheinbar historisch ist auch das zweite Buch, das ich gerne empfehlen möchte. Es ist ein bisschen Roman, ein bisschen Autobiografie, und ganz viel Zeitgeschichte. Die Rede ist von „Rafi, Judenbub“ aus der Feder des jüdischen Schriftstellers Rafael Seligmann. Dieser dritte Teil seiner eigenen Familiensaga ist vielleicht der spannendste. Denn Seligmann erzählt darin das Unglaubliche: wie seine Familie, nachdem ihr die Flucht vor den Nazis glücklich gelungen ist, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aus Israel zurückkehrt und in ihrer Heimat von einst auf die Menschen von einst trifft, die im Nazideutschland auch Juden verfolgt und ermordet haben. Eine eindringliche Geschichte über Hass, Verdrängung, über den Wunsch nach einem Neuanfang, der verzweifelten Suche nach eigenen Wurzeln und einer Lebensbedrohung, die kein finden zu finden scheint.

Info Rafael Seligmann: „Rafi, Judenbub“. Die Rückkehr der Seligmanns nach Deutschland. Langen-Müller, 388 Seiten, 25 Euro

Noch was vergessen fürs Wochenende? Vielleicht noch einen kleinen Hinweis für den Besuch in Oberhausen: Denn man sollte sich nicht nur für die Betrachtung der Erdkugel ausgiebig Zeit nehmen, sondern auch für die atemberaubende Fahrt mit dem Fahrstuhl aufs Gasometerdach. Weil man von dort wunderbar ins sogenannte weite Land schauen kann, vor allem aufs Ruhrgebiet, das ein Symbol auch für den Raubbau an der Natur sein kann. Auch dies kann ein lehrreicher Blick auf unsere Welt sein.

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