Unerträgliche Trägheit: Grandioser "Oblomow" in Köln

Köln Nichts ist quälender mitanzusehen als Trägheit. Wie dieser faule, verschlafene, nichtsnutzige Oblomow da dickbäuchig auf seinem Bettsofa liegt, auch am späten Nachmittag nicht aus den Federn kommt und alle Probleme jenseits der Kissenfestung aufschiebt, das zerrt an den Nerven. Man möchte ihn schütteln, diesen Verkriecher, ihm die Decke wegziehen und die Fenster öffnen, damit frische Luft ihn ins Leben jagt. Doch er ist ja nicht nur verlottert, selbstmitleidig, dauererschöpft. Oblomow weigert sich, auch nur den Morgenrock überzustreifen, weil er Angst vor dem Leben hat.

Als 1859 Gontscharows 700-Seiten-Roman über einen lethargischen Gutsbesitzer erschien, hatte der russische Dichter den Prototypen des parasitären Landadeligen geschaffen und übte so ätzende Kritik an seiner Zeit. So eine Figur auf die Bühne zu bringen, ist heikel, da Apathie nun mal wenig Schauwert besitzt. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis hat es am Schauspiel Köln dennoch gewagt, zeigt einen grandiosen, sich ins Tragische verdichtenden Abend über das Verkümmern eines Menschen.

Das geht tatsächlich nicht ohne Langeweile ab. In schier endlos wirkenden Eingangsszenen stellt Hermanis seinen Oblomow – gespielt von dem lettischen Schauspieler Gundars Abolins – erst einmal nur aus. Gefühlte Zeit: drei Stunden. Oblomow wälzt sich, windet sich, piesackt seinen treuen Knecht, empfängt liegend nichtsnutzige Gäste. Doch es bedarf dieser Einstimmung, damit das ganze Ausmaß an Lebensfurcht, das diesen Verzagten an sein Bett fesselt, erkennbar wird. Und dann gewinnt die Inszenierung an Schärfe, denn es wird tragisch. Selbst für eine große Liebe will Oblomow das Leben nicht beginnen und endet jämmerlich. Hermanis hat für seine Bühnenadaption wichtige Randfiguren wie die Haushälterin Agafja gestrichen, doch schadet das nicht, weil die Geschichte auch in gröberen Zügen ihren Sog entfaltet. Spielen lässt Hermanis in historischem Kostüm und Bühnenbild, schrecklich angestaubt soll alles wirken, als stünden die Uhren still. Auch das geht auf, weil dieses Stück von verpasster Lebenszeit handelt und eine zeitlose Charakterstudie ist. Doch gibt es durchaus eine gesellschaftliche Dimension, gerade im Zeitenvergleich. Natürlich hat sich die ständelose Gesellschaft von Parasiten wie Oblomow weitgehend befreit. Doch auch in Zeiten, da man sich für einen Adelstitel nichts mehr kaufen kann, alle Menschen – scheinbar gleich – um ihre Existenz kämpfen müssen, möglichst effizienter als der nächste, gibt es diese Aussteiger in die Apathie. Menschen, die dem Druck nicht standhalten, depressiv werden. Menschen, die früh keine Chancen für sich erkennen und den Fernseher einschalten. Die Rückzüge haben neue Gründe, doch die Studie eines Menschen, der so viel Angst vor dem Leben hat, dass er es verpasst, ist aktuell wie eh.

Info "Oblomow", Halle Kalk in Köln, Termine und Tickets: 0221 / 22128400

(RP)
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